DIE SAAT IM SCHNEE

Es war in den Franzosenkriegen. Die Fluren lagen im Schnee, die Scheunen und Ställe waren leer und die Herzen voller Angst vor dem streifenden Kriegsvolk.

Eines Abends saßen die Bauern von Jesau mit ernsten Gesichtern beisammen und ratschlagten, was zu tun sei. Ein Durchmarsch der Franzosen stand bevor, und was man von andern Dörfern hörte, vergrößerte die Sorgen. Von überall hieß es: "Sie durchstöbern alle Verstecke und lassen den Bauern nicht einmal das Saatgut." So sannen sie beim flackernden Kienspanlichte hin und her, bald laut und bald stumm. Da sprach ein alter Bauer: "Ich fahre morgen früh den Hafer aufs Feld und säe in den Schnee." Die anderen schüttelten die Köpfe: "Tritt Tauwetter ein, dann quellen die Körner auf. Kommt draus ein Frost, so ist der Samen hin." Der Alte aber sagte: "Freilich wohl! Wenn ihn die Franzosen nehmen, ist er auch weg. Drum vertraue ich lieber der Güte Gottes."

Am nächsten Morgen stand der alte Bauer auf dem Felde und begann in Gottes Namen mit der Aussaat. Er schritt bedächtig den Acker hin und her und warf mit kältesteifen Fingern den Samen in den knöchelhohen Schnee. Als die Nachbarn es sahen, entschlossen sie sich zu gleichem. Sie zerrten die Säcke aus den Verstecken und säten auch ihren Hafer in den Schnee. Tags darauf kamen die Franzosen wirklich, durchsuchten alles und schleppten fort, was sie fanden.

Der Herrgott aber hatte ein Einsehen. Auf die Schneeschmelze folgten warme, frostfreie Tage, die Felder trockneten schnell und die Jesauer konnten nun den in den Schnee gestreuten Hafer glücklich einackern, während in den Nachbardörfern die Haferfelder brach liegen bleiben mussten.


Quelle: Gustav Jungbauer, Böhmerwald-Sagen, 1924