Wie die Tanzzipfelwiese zu Ihrem Namen kam

Derbe Scherze waren an der Tagesordnung, wenn August der Starke mit seinem Gefolge auf die Jagd ritt. So geschah es auch einmal, als man am Rande der Ullersdorfer Hofewiese bei einem Jagdfrühstück rastete, daß der König auf einen besonders ausgefallenen Gedanken verfiel. "Dasjenige Paar", verkündete August, "dem es gelingt, den größten Wiesenfleck nach Bauernart zu umtanzen, dem will ich dieses Land schenken!" Nun bestand die Jagdgesellschaft aber aus lauter Herren. Die mußten sich jetzt zu Paaren aufstellen und sich wie beim Dorftanz im Kreise schwenken. Was gab es da für Spott und Hohn! Die adligen Herren bogen sich vor Lachen. Allerdings nur so lange, bis auch sie an die Reihe kamen. Der König war unerbittlich. Keiner durfte es wagen, sich ungestraft seiner groben Scherze zu entziehen. Nun saß, abseits der Hofgesellschaft und durch Buschwerk vor ihren Blicken geschätzt, ein junges Paar im Gras. Jakub gehörte zu den Gehilfen des Jägermeisters und Rieke stammte aus Ullersdorf. Am Waldessaum waren die beiden einander öfters begegnet. Ein Wort hatte das andere ergeben. So hatten sie sich kennen gelernt. Sie hatten einander lieb und trafen sich, so oft dies eben möglich war. Rieke hatte heute schon den ganzen Morgen ungeduldig darauf gewartet, daß die königliche Jagdgesellschaft zur Hofewiese käme. jetzt saßen die beiden hier und hielten einander die Hand. Ihnen war natürlich auch nicht entgangen, was draußen auf der Wiese vor sich ging. "Ob wir uns nicht die Wiese verdienen könnten?" sagte Rieke plötzlich. "Wo denkst du hin! Das ist doch alles nur ein Scherz für die hohen Herrn", wollte Jakub darauf antworten. Er befürchtete schließlich nicht zu Unrecht, daß man sich ihrer zu nur noch größerem Schabernack bedienen würde. Doch Rieke war bereits aufgestanden und hatte ihren Jakub hinter sich her gezogen. Ehe er sich's versah, tanzten die beiden schon über die Wiese. "Seht doch, Majestät!" rief einer der Hofleute. Er hätte den König nicht auf das schöne Paar aufmerksam zu machen brauchen. Alle Blicke wandten sich Jakub und Rieke zu. Sie tanzten wirklich wunderschön. In flinkem Reigen hatten sie bald schon ein großes Stück der Wiese hinter sich gelassen. "Sehen sie, meine Herren", sagte August, "So müssen sie's machen!" - "Mit Verlaub gesagt, Majestät", warf der Höfling ein, "in dem Tempo werden die beiden wohl nicht mehr weit kommen. " Gespannt verfolgte die Jagdgesellschaft, wie weit der Tanz des Paares wohl gehen mochte und, ob es ihm denn gelingen würde, den Kreis zu schließen. Jakub und Rieke waren eben an die Ecke des Waldsaums gelangt und wollten gerade herumschwenken, da. öffnete sich vor ihnen ein Wiesenzipfel von einer solchen Anmut und Schönheit, daß Rieke sofort ausrief. "Den nehmen wir auch noch mit!" Sie hatte jedoch nicht bedacht, wie weit es noch bis zum Ausgangspunkt ihres Tanzes war. Die Schritte der beiden wurden immer schwerer. Riekes Atem flog und Jakub wurde schwarz vor Augen. Doch sie tanzten weiter, mochte es auch ihre letzten Kräfte kosten. Inzwischen klatschten die Herren des Hofes im Takt. Keiner war imstande, den Blick zu wenden, so fesselte sie das Geschehen. Noch einhundert Schritte, fünfzig noch, zehn, Beifall brandete auf. Dann hatten Rieke und Jakub es geschafft. Der König hielt Wort. Er schenkte ihnen und ihren Nachkommen die von ihnen umtanzte Grasfläche. Seit diesem Tag trägt sie den Namen Tanzzipfelwiese.

Quelle: Curt Reuter, Langebrück über die Wiesen der Dresdner Heide, in: Koepert, O., Pusch, O.: Die Dresdner Heide und ihre Umgebung, Dresden 1932
Email-Zusendung von Octapolis, 25. Juli 2004