Die kleine Braut aus Ungarn

Als der Sohn des Landgrafen Hermann von Thüringen und der Landgräfin Sophia, Ludwig geheißen, elf Jahre und die Tochter des Königs Andreas von Ungarn vier Jahre alt war, sandte das Landgrafenpaar Boten nach Ungarn, für den Sohn um die Hand der kleinen Königstochter zu werben; die Gesandten waren sonderlich vornehme Männer, Frauen und Jungfrauen, nebst Ingesinde, und fuhren in vier Wagen und hatten vierzig Pferde. Dort an des Ungarköniges Hofe wurde sie stattlich empfangen, und als sie ihre Werbung getan, befragte sich der König bei Meister Klinsor über den Landgrafenhof, den jungen Fürstensohn und das Land. Da wußte Klinsor, der alles aus eigner Anschau kannte, viel Rühmens zu machen vom Hofe und von Land und Leuten, also daß er den König und die Königin von Ungarn zur Zusage bewegte zu dem, was er ja ohnehin in den Sternen als einen überirdischen Beschluß gelesen. Aber die Gesandtschaft hatte noch einen absonderlich wichtigen Auftrag, zeugend vom hochverständigen Sinne ihres Herrn und ihrer Herrin, denn sie wünschten, daß ihres Sohnes junge Braut und zukünftige Gemahlin nicht ungarisch, sondern deutsch erzogen werde, ganz entgegen der Unsitte späterer deutscher Fürsten, die ihre Kinder französisch erziehen ließen, damit sie ja recht frühzeitig das welsche Gebaren hoch-, ihr Vaterland aber mißachten lernten. Und das ungarische Königspaar sah ein, daß dieser Wunsch ein gerechter, denn wer über ein Land herrschen will, muß es kennen und heben; die Liebe zu einer neuen Heimat kann aber nicht plötzlich und über Nacht kommen, sondern sie muß allmählich empfunden und anerzogen werden. Und die Eltern sagten auch dieses zu und gaben ihr liebes Elisabethlein dahin, ausgestattet mit einem überreichen Brautschatz und geleitet von einem zahlreichen und glänzenden Gefolge. Mit vier Wagen waren die thüringischen Gesandten gekommen, und mit dreizehn fuhren sie wieder ein in das Thüringerland, nebst vielen herrlichen Pferden mit prächtigen Geschirren zum Geschenk für den Landgrafen, denn es war eine alte Fürsten- und Völkersitte, sich gegenseitig viele Pferde zu schenken; schon der Thüringerkönig Irminfried oder Herminfried hatte an den Ostgotenkönig bei der Werbung um Amalberga eine stattliche Anzahl schneeweißer preiswerter Rosse zum Geschenk geschickt. Heutzutage denkt einer Wunders, was er Großes tut, wenn er einem ein Pferd oder zwei schenkt. Da nun die kleine Braut mit ihrem zahlreichen Gefolge und Geleite gen Eisenach gekommen war, war auf der Wartburg große Freude, und zogen der Landgraf und seine Gemahlin und der Hof herab in die Stadt, und begrüßten das Königskind und holten es festlich ein und führten es wie in einem Triumphzuge hinauf auf das Wartburgschloß.

Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853