Hermann von Treffurt
Bei Treffurt über Wanfried ragt am linken Ufer der Werra ein mächtig
hoher Berg weit sichtbar empor mit steiler Absenkung in das Werratal,
der heißt der Hellerstein, auch wohl der Normannstein. Zu Treffurt
lebte ein frommer Ritter, Hermann von Treffurt geheißen, der war
in allem trefflich wohlgetan, nur einen Fehler hatte er, wenn das ein
Fehler sein soll, er hatte im Bezug der Frauenminne ein sehr weites Herz
und war im hohen Grade das, was die Frauen einen losen und schlimmen Mann
nennen, wofür er Gott dankte. Dieser brave Ritter versäumte
niemals, wenn er so da oder dorthin ritt, wo er eine Buhlschaft hatte
- und er ritt viel -, die Gezeiten der heiligen Jungfrau Maria zu beten,
denn selbige war die einzige Jungfrau, die Ritter Hermann von Treffurt
in Ehren hielt. Einer Nacht kam der Ritter geritten, mocht' etwa in Kreuzburg
gewesen sein, allwo es schöne und gütige Frauen hat, aber da
derselbe wohl nicht allein, als ein zweiter Ritter Tannhäuser, im
nahen Venusberge gewesen war, sondern etwa auch im Bacchusberge vorgesprochen
hatte, so entnickte er, und sein Roß schlug hinter Selmannshausen
einen Nebenweg linker Hand ein, welches fast schlimm war wie alles Linke
und Linkische. Es trug ihn, statt im Tale nach dem ganz nahen Treffurt,
allgemach einen ziemlichen Umweg zur Höhe des riesigen Hellerstein
empor und immer weiter und weiter vor bis an den jähen Abhang, da
freilich stutzte es und prallte zurück, und vom Rückprall erwachte
der Ritter aus minneseligem Traume, dachte, du dummer Gaul, was weckst
du mich? und ließ dem Roß zur Strafe derb die Sporen fühlen.
Da setzte das Roß in den ungeheuern Abgrund, der war etwa dreimal
so hoch als der vom Giebichenstein hinunter ins Saaletal, und als der
fromme Hermann plötzlich fühlte, daß er nicht mehr ritt,
sondern flog, da rief er Ludwig des Springers Ruf: Hilf heilige Maria!
Hilf deinem Knechte! Und da war ihm, als umfahe ihn ein warmer weicher
Frauenarm und halte ihn und hebe ihn, da das Roß sich zu Tode fiel
und vom Fall des Ritters Schwert in der Scheide wie Glas zersplitterte,
sänftiglich aus dem Sattel, daß er sich auch kein Äderlein
und kein Knöchlein verstauchte. Nach solch wunderbarer Errettung
vom jähen Tod in allen Sünden tat sich der fromme Ritter aller
Welt- und Minnelust ab, wurde noch frommer, als er vor gewesen war, ging
nach Eisenach, zwischen Kreuzburg und dem Venusberg gelegen, wurde allda
ein Mönch und diente ausschließlich in Gebet und Treue der
heiligen Jungfrau, deren rettender Arm allein ihn gehalten und gehoben,
und ward ihm, gleich jener schönen Sünderin im Evangelio, viel
vergeben, dieweil er viel geliebet.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853