Karles Quintes

Am Fuße des Inselberges liegt ein gewerbtätiger Flecken, der heißt Brotterode; früher stand ein Schloß allda, und der Ort hieß Brunewartesrode. Im Burgberg liegt ein großer Schatz verzaubert, eine weiße Jungfrau hütet ihn und erscheint nur alle sieben Jahre und flüstert leise vor sich hin:

Ein Knäblein von sieben Jahren
mit weißen Haaren
kann mich erretten.

Diese Jungfrau war die Kammerzofe der stolzen Gräfin und mußte dieser die langen Haarflechten strählen. Darüber ward die Gräfin, wenn es ein wenig rupfte, stets sehr ungehalten und scheltig, da hob einmal die Jungfrau an zu wünschen, daß sie mitsamt der Gräfin und der Burg möchten zwanzig Klafter tief in den Erdboden hinein versinken, welcher Wunsch auch alsbald seine Erfüllung fand.

In der Kirche zu Brotterode hängt eine Fahne mit dem Bergwappen, Keil und Schlageisen, darüber eine Krone, die nennen sie die Funn von Karles quintes und halten sie gar hoch und wert. Es ist nämlich, wie die Sage geht, geschehen, daß einst die Gemahlin von Kaiser Karl V. in Brotterode ihre Niederkunft hielt, und ward allda trefflich bewirtet und gehalten, dafür schenkte der Kaiser dem Orte den großen Gemeindewald, das Blutgericht und das Fahnenrecht, an die Fahne geküpft, nebst vielen andern Freiheiten. Das Fahnenrecht besteht darin, daß während der acht Tage lang dauernden Kirmse, solange die Fahne, die unterm Geläute aller Glocken am Kirchturme ausgesteckt wird, ausgesteckt bleibt, jeder Nachbar einheimisches und fremdes Bier nicht nur trinken, sondern auch ausschenken darf, wenn er Lust hat. Wegen diesem Aushängen der Fahne muß ihr Tuch zum öftern erneuert werden. Im Kirchturmknopf zu Brotterode wurde vor Jahren eine Schrift gefunden, die lautete:

Diese kirche ist angefangen worden zu bawen als ein münch
namen Lutherus wider die papisten angefangen zu schreiben,
deme aber das Maul bald gestopft werden sol.

Nur neun Jahre später ließ Landgraf Philippus von Hessen, wie in
seinem ganzen Lande, so auch in Brotterode evangelisch predigen.

Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853