13. Der Einsiedler auf dem Berge Liákoura. (Umgegend des Parnasos.)

Ein Mönch vom Kloster des heiligen Lukas fasste einst den Entschluss, einen ganzen Winter auf dem Gipfel des Berges Liakoura zuzubringen, denn er wünschte zu erfahren, wie streng der Winter dort oben sei und wie die Geister dieses Berges mit einander streiten. Er richtete sich also auf demselben in einer Höhle eine feste Wohnung her, versah sich mit Nahrungsmitteln und den übrigen Lebensbedürfnissen für den ganzen Winter und schloss sich, ehe dieser begann, in die Höhle ein. Der Schnee verschüttete ihn vollständig in seiner Wohnung, und den ganzen Winter über sah er weder Himmel noch Erde. Er hielt aus bis zur Mitte des März. Da fühlte er das Ende seines Lebens herannahen und schrieb folgende Worte an die Wand der Höhle: 'Ich habe den ganzen Winter hier oben zugebracht, habe den Kampf der Winde und der Geister dieses Berges vernommen und bis zur Mitte des März gelebt; länger vermochte ich's nicht auszuhalten, und ich sah mein Ende kommen, denn der Frost des März und das Toben und Brüllen der Geister und Winde waren fürchterlich; der Berg schwankte hin und her, und es schien mir, als wolle er zusammenstürzen. Ich habe diese Worte aufgeschrieben, damit keiner wieder es wage, gleich mir den Winter auf dem Berge Liakoura kennen zu lernen.' Lange Zeit zeigte man die Höhle, in welcher der Mönch gelebt, und die Worte, die er an die Wand derselben angeschrieben.

Quelle: Bernhard Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig 1877. S. 144 - 145.
(Nachdruck: Hildesheim, New York, 1978)