Der Graf von Gleichen
Graf Ludwig von Gleichen zog im Jahr 1227 mit
gegen die Ungläubigen, wurde aber gefangen und in die Knechtschaft
geführt. Da er seinen Stand verbarg, mußte er gleich den übrigen
Sklaven die schwersten Arbeiten tun, bis er endlich der schönen Tochter
des Sultans in die Augen fiel wegen seiner besondern Geschicklichkeit
und Anmut zu allen Dingen, so daß ihr Herz von Liebe entzündet
wurde. Durch seinen mitgefangenen Diener erfuhr sie seinen Stand, und
nachdem sie mehrere Jahre vertraulich mit ihm gelebt, verhieß sie,
ihn frei zu machen und mit großen Schätzen zu begaben, wenn
er sie zur Ehe nehmen wolle. Graf Ludwig hatte eine Gemahlin mit zwei
Kindern zu Haus gelassen; doch siegte die Liebe zur Freiheit, und er sagte
ihr alles zu, indem er des Papstes und seiner ersten Gemahlin Einwilligung
zu erwirken hoffte. Glücklich entflohen sie darauf, langten in der
Christenheit an, und der Papst, indem sich die schöne Heidin taufen
ließ, willfahrte der gewünschten Vermählung. Beide reisten
nach Thüringen, wo sie im Jahre 1249 ankamen. Der Ort bei Gleichen,
wo die beiden Gemahlinnen zuerst zusammentrafen, wurde das Freudental
benannt, und noch steht dabei ein Haus dieses Namens. Man zeigt noch das
dreischläfrige Bett mit rundgewölbtem Himmel, grün angestrichen;
auch zu Tonna den türkischen Bund und das goldne Kreuz der Sarazenin.
Der Weg, den sie zu der Burg pflastern ließ, heißt bis auf
den heutigen Tag der Türkenweg. Die Burggrafen von Kirchberg besitzen
auf Farrenrode, ihrer Burg bei Eisenach, alte Tapeten, worauf die Geschichte
eingewirkt ist. Auf dem Petersberge zu Erfurt liegen die drei Gemahel
begraben, und ihre Bilder sind auf dem Grabsteine ausgehauen (gestochen
in Frankensteins Annal. nordgaviens.).
Kommentar: Sigittarius: Gleichische Historie,
B. I, cap. 5. Pauli Jovii (Götze)
Chronicon Schwarzenburg. Tenzel: Monatliche Unterr., 1696,
S. 599 - 620. Melissantes: Bergschlösser S. 20 - 31.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm
(Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 575