Der Graf von Hoia
Es ist einmal einem Grafen zu Hoia ein kleines
Männlein in der Nacht erschienen, und wie sich der Graf entsetzte,
hat es zu ihm gesagt, er sollte sich nicht erschrecken, es hätte
ein Wort an ihm zu werben und zu bitten, er wolle ihm das nicht abschlagen.
Der Graf antwortete, wenn es ihm und den Seinen unbeschwerlich wäre,
so wollte er es gern tun. Da sprach das Männlein: »Es wollen
die folgende Nacht etliche zu dir auf dein Haus kommen und Ablager halten,
denen wollest du Küche und Saal so lange leihen und deinen Dienern
gebieten, daß sie sich schlafen legen und keiner nach ihrem Tun
und Treiben sehe, auch keiner darum wisse, ohne du allein. Man wird sich
dafür dankbarlich erzeigen, du und dein Geschlecht sollen's zu genießen
haben, es soll auch im allergeringsten weder dir noch den Deinen Leid
geschehen.« Solches hat der Graf eingewilliget. Also sind folgende
Nacht, gleich als mit einem reisigen Zug, die Brücke hinauf ins Haus
gezogen allesamt kleine Leute, wie man die Bergmännlein zu beschreiben
pflegt. Sie haben in der Küche gekocht, zugehauen und aufgegeben,
und hat sich nicht anders ansehen lassen, als wenn eine große Mahlzeit
angerichtet würde. Darnach, fast gegen Morgen, wie sie wiederum scheiden
wollen, ist das kleine Männlein abermal zum Grafen gekommen und hat
ihm neben Danksagung gereicht ein Schwert, ein Salamanderlaken und einen
güldenen Ring, in welchem ein roter Löwe oben eingemacht; mit
Anzeigung, diese drei Stücke sollte er und seine Nachkömmlinge
wohl verwahren, und solange sie dieselben beieinander hätten, würde
es einig und wohl in der Grafschaft zustehen: sobald sie aber voneinander
kommen würden, sollte es ein Zeichen sein, daß der Grafschaft
nichts Gutes vorhanden wäre; und ist der rote Löwe auch allzeit
darnach, wann einer vom Stamm sterben sollte, erblichen.
Es sind aber zu den Zeiten, da Graf Jobst und seine Brüder unmündig waren und Franz von Halle Statthalter im Land, die beiden Stücke, als das Schwert und Salamanderlaken, weggenommen, der Ring aber ist bei der Herrschaft geblieben bis an ihr Ende. Wohin er aber seit der Zeit gekommen, weiß man nicht.
Kommentar: Hammelmann:
Oldenb. Chronik, 21, 22. Tenzel: Monatl. Unterr., 1609, S. 525. Prätor.:
Glückstopf, 489, 490 u. Weltbeschreibung, I, 95. Bräuners: Curiosit.,
622 - 624.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm
Grimm (Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 35