Der Werwolf
Ein Soldat erzählte folgende Geschichte,
die seinem eignen Großvater begegnet sein soll: Dieser, sein Großvater,
sei einmal zu Wald holzhauen gegangen, mit einem Gevatter und noch einem
dritten, welchen dritten man immer im Verdacht gehabt, daß es nicht
ganz richtig mit ihm gewesen; doch so hätte man nichts Gewisses davon
zu sagen gewußt. Nun hätten die dreie ihre Arbeit getan und
wären müde geworden, worauf dieser dritte vorgeschlagen: ob
sie nicht ein bißchen ausschlafen wollten. Das sei denn nun so geschehen,
jeder hätte sich nieder an den Boden gelegt; er, der Großvater,
aber nur so getan, als schliefe er, und die Augen ein wenig aufgemacht.
Da hätte der dritte erst recht um sich gesehen, ob die andern auch
schliefen, und als er solches geglaubt, auf einmal den Gürtel abgeworfen
und wäre ein Werwolf gewesen, doch sehe ein solcher Werwolf nicht
ganz aus wie ein natürlicher Wolf, sondern etwas anders. Darauf wäre
er weggelaufen zu einer nahen Wiese, wo gerade ein jung Füllen gegraset,
das hätte er angefallen und gefressen mit Haut und Haar. Hernach
wäre er zurückgekommen, hätte den Gürtel wieder umgetan
und nun, wie vor, in menschlicher Gestalt dagelegen. Nach einer kleinen
Weile, als sie alle zusammen aufgestanden, wären sie heim nach der
Stadt gegangen, und wie sie eben am Schlagbaum gewesen, hätte jener
dritte über Magenweh geklagt. Da hätte ihm der Großvater
heimlich ins Ohr geraunt: »Das will ich wohl glauben, wenn man ein
Pferd mit Haut und Haar in den Leib gegessen hat;« jener aber geantwortet.
»Hättest du mir das im Walde gesagt, so solltest du es jetzo
nicht mehr sagen.«
Ein Weib hatte die Gestalt eines Werwolfs angenommen und war also einem Schäfer, den sie gehaßt, in die Herde gefallen und hatte ihm großen Schaden getan. Der Schäfer aber verwundete den Wolf durch einen Beilwurf in die Hüfte, so daß er in ein Gebüsch kroch. Da ging der Schäfer ihm nach und gedachte ihn ganz zu überwältigen, aber er fand ein Weib, beschäftigt, mit einem abgerissenen Stück ihres Kleides das aus der Wunde strömende Blut zu stillen.
Zu Lüttich werden im Jahre 1610 zwei Zauberer hingerichtet, weil sie sich in Werwölfe verwandelt und viele Kinder getötet. Sie hatten einen Knaben bei sich von zwölf Jahren, welchen der Teufel zum Raben machte, wenn sie Raub zerrissen und gefressen.
Kommentar: Mündlich aus
Bibesheim und aus Wernigerode. 253.
Nic. Remigii Daemonolatria etc., Francof. 1598, p. 263, 264.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 213