Die Maultasch-Schutt
Wie das Schloß Dietrichstein von der Frau Margaret Maultasch (im
Jahre 1334) belagert und verwüstet worden, sind hiezwischen viel
Herren und Landleut aus Kärnten mit Weib und Kind in eilender Flucht
gen Osterwitz kommen, dem edeln und gestrengen Herrn Reinher Schenk zugehörig,
von dem sie dann mit großen Ehren sind empfangen worden. An diesem
Orte, als von Natur überaus stark und ungewinnlich, hatten sie alle
gute Hoffnung, mit den Ihren vor der Tyrannin sicher zu bleiben. Es liegt
aber Osterwitz eine Meil Wegs von St. Veit gegen Völkermarkt wärts
zur rechten Hand auf einem starken und sehr hohen Felsen, der an keinem
Ort mag weder gestürmt noch angelaufen werden. Nun zog aber Frau
Maultasch mit ihrem Kriegsvolk stracks auf Osterwitz zu, sonderlich nachdem
sie verstanden, daß ein großer Adel allda beisammen wäre,
des endlichen Vorhabens, so lange davorzuliegen, bis sie solches in ihre
Gewalt bringen und der vorberührten Herren und Frauen würde
habhaft sein. Wie solches dem Herrn Reinher Schenk von seinen Kundschaftern
angekündet worden, hat er hierauf unverzogenlich seine Kriegsleute,
derselben nicht viel über dreihundert gewesen, mit großem Fleiß
auf die Wehren der Mauern und allenthalben auf dem hohen Berge geordnet
und gar nichts unterlassen, was auf diesmal dazu gedienet. Hiezwischen
kam die Frau Maultasch so weit hinaus, daß sie mit den Ihren das
Feld weit und breit eingenommen, auch das Schloß in dem Gezirk also
umringet, daß schier niemand zu den Belagerten kommen oder aus der
Festung weichen konnte. Und weil die Tyrannin gesehen, daß es unmöglich,
Osterwitz zu bewältigen, hat sie demnach, in der Zeit der Belagerung,
den armen Bauersleuten in den Dörfern mit Brennen, Rauben, Morden
und andern Gewalttätigkeiten nicht geringen Schaden zugefügt;
wie dessen die zerbrochnen Schlösser und Burgen noch heutigestages
genügsame Zeugnis geben. Doch als sie zuletzt gesehen, daß
sie Zeit umsonst und vergeblich vertrieben, auch mit aller Gewalt wenig
ausrichten würde, hat sie so viel im Rat befunden, ihre Gesandten
an Reinher Schenk zu verordnen mit dem Befehl: daß sie ihn mit vielen
und reichen Verheißungen dahin bewegen sollten, das Schloß
Osterwitz ihr zu übergeben und mit den Seinen frei abzuziehen. Als
auf solche Werbung Herr Reinher Schenk abschläglich antwortete und
sagen ließ, er müsse ein Kind sein, wenn er darauf horchen
und nach ihren Drohungen fragen wollte, also daß die Gesandten mit
betrübten Herzen ins Lager zurückkamen: rieten ihr alle, den
Ort, da mit Gewalt nichts auszurichten wäre, auszuhungern und mit
solchem Mittel den kärntischen Adel zum Brett zu treiben. Welchem
getreuen Rat auch Frau Maultasch nachkommen wollte, weil doch keine andere
Gelegenheit vorhanden war, ihres Willens habhaft zu werden.
Weil dann nun diese Belagerung ziemlich lange gewähret, entstand
hiezwischen in dem Schloß zu Osterwitz nicht allein unter den gemeinen
Knechten, sondern auch denen von Adel, sonderlich aber bei dem Frauenzimmer
ein großer Mangel in allen Sachen, vornehmlich aber an Wasser, daß
auch täglich viel umkamen. Denn es waren von den dreihundert Knechten
kaum hundert überblieben, die sich gedrungenerweise mit abscheulicher
Speise, als Katzen-, Hund- und Roßfleisch, ersättigen mußten.
Indem sich nun etliche vornehme Herren und vom Adel deswegen miteinander
beratschlagten, wie den Sachen zu tun wäre, erfanden sie endlich
einen trefflich guten und erwünschten Weg. Denn als sie täglich
den großen Jammer vermerkten und ihnen gar schmerzlich war, daß
sie samt Weib und Kindern in großem Unglück standen und noch
zukünftiger Zeit mehreren Unfall möchten unterworfen sein, gingen
sie sämtlich zu Herrn Reinher Schenk und sagten ihm, wie sie diesmal
nur durch einen listigen Fund, weil sie keine Hilfe von Erzherzog Otto
zu gewarten hätten, zu erretten wären. Nun hätten sie eine
gute und geschwinde Kriegslist erdacht, damit den grimmen Feind ab ihrem
Hals zu bringen. Nämlich dieweil sie gesehen, daß alle Essensspeisen
und des Leibes Notdurft nun bereits verzehrt und nichts mehr in ihrer
Gewalt wäre als ein dürrer Stier und zwei Vierling Roggen, so
wäre ihr getreuer Rat, Gutdünken und Meinung, man sollte hierauf
den Stier abschlachten, in dessen abgezogene Haut den Roggen einschütten
und sie also, wohl vermacht, den Berg herabwerfen. Wenn die Feinde dann
solches sähen, würde es ihnen Ursache geben zu denken, wir wären
mit allerlei Notdurft und Lebensmittel noch reichlich versehen und könnten
die Belagerung noch eine gute Zeit ausharren. Derowegen sie unzweifelig
würden aufbrechen und mit dem ganzen Kriegsheer abziehen. Diesem
Rat kam Herr Reinher Schenk alsbald nach, ließ den Stier abnehmen,
den Roggen dareintun und solche damit über den Berg abstürzen,
dem jedermann mit großer Verwunderung zugesehen. Als aber solches
Frau Maultasch erfahren, tät sie hierauf einen lauten hellen Schrei
und sagte. »Ha! Das sind die Klausrappen, so eine gute Zeit ihre
Nahrung in die Kluft zusammengetragen und auf den hohen Felsen sich versteckt
haben, die wir nicht so leichtlich in unsern Klauen werden fassen können;
darum wir sie in ihrem tiefen Nest sitzen und andre gemästete Vögel
suchen wollen.« Hat von Stund an darauf ihren Kriegsleuten geboten,
daß ein jeder insonderheit seine Sturmhaube voll Erde fassen und
solches auf einem ebenen Felde, gleich gegen Osterwitz über, ausschütten
sollte. Welches, als es geschehen, ist aus der Erde ein ziemlich groß
Berglein worden, das man lange Zeit im Land zu Kärnten die Maultasch-Schutt
genannt hat. Noch vor kurzem, im Jahre 1580, hat Herr Georg Kevenhüller,
Freiherr zu Aichelberg, als Landeshauptmann von Kärnten der Frau
Maultasch Bildnis in schönem weißem Stein ausgehauen lassen,
welche Säul das Kreuz bei der Maultasch-Schutt genannt worden.
Kommentar:
Megiser: Chronik von Kärnthen II, 974 - 977.
Valvassor: Ehre von Crain, B. 15, S. 317.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 504