Das Erdmännlein und der Schäferjung
Im Jahr 1664 hütete unfern Dresden ein Junge
die Herde des Dorfs. Auf einmal sah er einen Stein neben sich, von mäßiger
Größe, sich von selbst in die Höhe heben und etliche Sprünge
tun. Verstaunt trat er näher zu und besah den Stein, endlich hob
er ihn auf. Und indem er ihn aufnahm, hüpfte ein jung Erdmännchen
aus der Erde, stellte sich kurz hin vor den Schäferjungen und sprach:
»Ich war dahin verbannt, du hast mich erlöst, und ich will
dir dienen; gib mir Arbeit, daß ich etwas zu tun habe.« Bestürzt
antwortete der Junge: »Nun gut, du sollst mir helfen Schafe hüten.«
Das verrichtete das Männchen sorgsam, bis der Abend kam. Da fing
es an und sagte: »Ich will mit dir gehen, wo du hingehst.«
Der Junge versetzte aber sogleich: »In mein Haus kann ich dich nicht
gut mitnehmen, ich habe einen Stiefvater und andre Geschwister mehr, der
Vater würde mich übel schlagen, wollte ich ihm noch jemand zubringen,
der ihm das Haus kleiner machte.« - »Ja, du hast mich nun
einmal angenommen«, sprach der Geist, »willst du mich selber
nicht, mußt du mir anderswo Herberg schaffen.« Da wies ihn
der Junge ins Nahbars Haus, der keine Kinder hatte. Bei diesem kehrte
nun das Erdmännchen richtig ein und konnte es der Nachbar nicht wieder
loswerden.
Kommentar: Prätor.:
Weltbeschreibung, I, 122.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 44