Heinrich das Kind von Brabant
Als nach Landgrafen und Königs Heinrich *) Tode der thüringisch-hessische Mannsstamm erloschen war, entspann sich langer Zwiespalt um die Erbschaft, wodurch zuletzt Thüringen und Hessen voneinander gerissen wurde. Alle Hessen und auch viele Thüringer erklärten sich für Sophien, Tochter der heiligen Elisabeth und vermählte Herzogin in Brabant, deren unmündigen Sohn, genannt Heinrich das Kind (geboren 1244), sie für ihren wahren Herrn erkannten. Der Markgraf von Meißen hingegen sprach das Land an, weil es aus König Heinrichs Munde, dessen Schwestersohn er war, erstorben wäre, und überfiel Thüringen mit Heereskraft. Damals war allenthalben Krieg und Raub im Lande, und als der Markgraf Eisenach eroberte, soll er, der Volkssage zufolge, einen Mann, der es mit dem hessischen Teil gehalten, von dem Felsen der Wartburg herabschleudern lassen, dieser aber in der Luft noch laut ausgerufen haben. »Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant!«

Sophia zog aus Hessen vor Eisenach; da man die Tore verschlossen und sie nicht einlassen wollte, nahm sie eine Axt und hieb in St. Jörgentor, daß man das Wahrzeichen zweihundert Jahre hernach noch in dem Eichenholz sah.

Die Chroniken erzählen, jener Mann sei ein Bürger aus Eisenach, namens Welspeche, gewesen, und weil er den Meißnern nicht huldigen wollen, zweimal mit der Blide über die Burgmauer in die Stadt geworfen worden, aber unverletzt geblieben. Als er immer standhaft bei seiner Aussage verharrte, wurde er zum drittenmal hinabgeschleudert und verlor sein Leben.

*) Er war Bruder Landgrafen Ludwigs, hatte die heilige Elisabeth, dessen Witwe, hart behandelt und Hermann, ihren einzigen Sohn, der Sage nach, vergiften lassen.

Kommentar: Thüringische Volkssage, vergl. Brandes: Einfluß und Wirk. des
Zeitgeistes, I. Abt., Hannover 1810, S. 164. Thür. Chronik in
Senkenberg: Sel., III, 330. Spangenberg: Sächs. Chronik, Fft.
1585, S. 446. Bange: Thüring. Chronik, Bl. 99, 100.
Winkelmann: Hessische Chronik, S. 286, 287. Rohtes Chronik,
ap. Menken, I, 1738 - 1742.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 558