Kaiser Ludwig bauet Hildesheim
Kaiser Ludwig führte allzeit ein Marienbild an seinem Halse; nun
begab sich's, daß er ritt durch einen Wald, stieg ab, seine Füße
zu decken, und setzte dieweil das Bild auf einen Stein (oder auf einen
Stamm). Als er's darauf wieder zu sich nehmen wollte, vermochte er es
nicht von der Stätte zu bringen. Da fiel der König auf die Knie
und betete zu Gott, daß er ihm kundtäte, ob er einer Missetat
schuldig wäre, derentwegen das Bild nicht von dem Steine weichen
wollte. Da hörte er eine Stimme rufen, die sprach: »So ferne
und weit ein Schnee fallen wird, so groß und weit sollt du einen
Tumb bauen zu Marien Ehre!« Und alsbald hub es an vom Himmel zu
schneien auf die Stätte; da sprach Ludwig: »Dies ist Hilde
Schnee (dit is tomalen hilde Snee), und es soll auch Hildeschnee heißen.«
So weit nun der Schnee gefallen war, stiftete er einen Kirchenbau, unserer
Lieben Frauen zu Ehren, und Günther war der erste Bischof, den er
darin bestätigte. Also kriegte der Tumb und die Stadt den Namen nach
dem Schnee, der »do hilde« fiel; das ward genennet Hildeschnee
und folgends Hildesheim.
Kommentar:
Pomarius a. a. O. S. 63.
Casp. Abel: Samml. alter Chroniken, Braunschw. 1732, S. 68.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 456