Mauerkalk mit Wein gelöscht

Im Jahre 1450 wuchsen zu Österreich so saure Trauben, daß die meisten Bürgersleute den gekelterten Wein in die offene Straße ausschütteten, weil sie ihn seiner Herbheit halber nicht trinken mochten. Diesen Wein nannte man Reifbeißer; nach einigen, weil der Reif die Trauben verderbt, nach andern, weil der Wein die Dauben und Reife der Fässer mit seiner Schärfe gebissen hätte. Da ließ Friedrich III., römischer König, ein Gebot ausgehen, daß niemand so die Gabe Gottes vergießen solle, und wer den Wein nicht trinken möge, habe ihn auf den Stephanskirchhof zu führen, da solle der Kalk im Wein gelöscht und die Kirche damit gebaut werden.

Zu Glatz, gegen dem böhmischen Tor wärts, stehet ein alter Turm, rund und ziemlich hoch; man nennt ihn Heidenturm, weil er vor uralten Zeiten im Heidentum erbaut worden. Er hat starke Mauern und soll der Kalk dazu mit eitel Wein zubereitet worden sein.

Kommentar: Cuspinianus: Hist. Austr. ex relatione seniorum.
Älurius: Glätzische Chronik, Buch II, cap. 2, p. 97.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 351