Anichen bei Gossensaß / Südtirol

Die Täler von Gschnitz und Pflersch waren einst — besonders das letztere — reich an Metallgruben und Schachten, wovon sich die Nachkommen nicht genug zu erzählen wissen, besonders von den Silbergruben. Und all' den Reichthum deckte ihnen ein Mann der dortigen Gegend mit einer so wunderkräftigen Wünschelruthe auf, daß auch der verborgenste und tiefste Schatz damit gefunden werden konnte.

Er wohnte zu Anichen, und die Knappen wurden so reich, daß sie manchmal mit Trommeln und Pfeifen zum Gottesdienst nach Gossensaß zogen und allda vor 400 Jahren die Kirche zum heiligen Anton stifteten. Sie stellten als Wahrzeichen auf einen Altar einen Heiligen mit einem Hammer in der einen und einer Erzstufe in der andern Hand hin, der jetzt noch dort steht. Das Altarblatt selbst zeigt die heilige Barbara — die Schutzpatronin der Tiroler Bergknappen.

Als der Mann sein Ende nahen fühlte, ging er auf die Spitze des riesengroßen „Tribulaun", der gar ernst und dunkel zwischen den Gschnitz- und Pflerschtälern emporsteigt und von allen Seiten isolirt bei Anichen sich mit der „Weißspitze" schön zeigt, vergrub seine Wünschelruthe und verschied. Und als man ihn am andern Tage eingraben wollte, war er mit Haut und Haar verschwunden.

Es hatte aber seine Arbeit ein Gemsjäger belauscht. Der erzählte, was geschehen war, und seitdem haben Viele die Wünschelruthe aufgesucht, sind aber stets verscheucht worden von einer Gestalt, die wie ein Zauberer droben in einer Höhle saß und die Ruthe bewachte.

Ob's der Mann von Anichen oder ein Anderer gewesen sei, konnten die Erschrockenen nie aussagen. Seitdem ist auch der Zugang ein gefährlicher geworden, und man blickt' nur noch von ferne hinauf und sagt: dort liegt die letzte Wünschelruthe Tirols begraben.

Quelle: Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Deutsche Alpensagen, Wien 1861, Nr. 316 S. 299; dan.: Friedrich Kuthmayer, Alpensagen. Für die Jugend ausgewählt und neu erzählt, Wien und Leipzig 1934, Nr. 130 S. 188 f.; dan.: Karl Paulin, Die schönsten Sagen aus Südtirol, Ausgewählt und neu erzählt, Innsbruck 1937, S. 95 f.
Zitiert in: Gerhard Heilfurth, Bergbau und Bergmann in der deutschsprachigen Sagenüberlieferung Mitteleuropas, Band 1 - Quellen, Marburg 1967, Nr. 28, S. 238, "Fundweisung durch Schatzsucher und Fahrendes Volk".