Schneeberg

Einst zog ein Jäger aus dem Passeiertal nach dem Schwarzsee ob Rabenstein, um Gamswild und Steinböcke zu jagen. Als er zu Seemoos auf einem Felsblock ruhend die umliegenden Grate nach dem Wild abäugte, sah er plötzlich am Ufer des stillen Alpsees eine Frauengestalt sitzen, angetan mit silberschimmerndem Kleid, so weiß und glänzend wie die umliegenden Firne, und mit goldglitzerndem Geschmeide an Hals und Armen. Die winkte den Jäger zu sich und zeigte ihm funkelndes Edelgestein, das in ihrem Schoß lag. All die Schätze wollte sie dem Jäger geben und deren Fundstellen zeigen, wenn er ihr verspreche, abzulassen von der weiteren Verfolgung des unter ihrem Schutz stehenden Wildes. Sie forderte, daß er seine Armbrust vor ihren Augen vernichte und gelobe, fürderhin die Jagd aufzugeben. Von Habsucht beseelt, zerschmetterte der Jäger seine Armbrust und leistete den Schwur, worauf er die Taschen mit dem wertvollen Edelgestein füllte. Die Frau zeigte sodann dem Jäger an den aus den Firnen hervorragenden Felsriffen Spalten voll edlem Silbererz. Sie drohte ihm aber auch mit schwerer Strafe, wenn er seinen Schwur brechen würde, und ebenso plötzlich war sie den Augen des Jägers entschwunden. Bald zogen mit dem Jäger Knappen auf die unwirtlichen Bergeshöhen. Stollen um Stollen wurden eröffnet, und überall fand sich reiches Erz, das in schwerer Menge mit Schlitten und Sackzug zu Tal geschafft wurde. Während der strengen Wintermonate ruhte die Arbeit; sobald aber der Föhn das Eis brach, zogen stets vermehrte Knappenscharen nach dem erzreichen Schneeberg, auf dem bald ein ganzes Dörflein mit einem dem hl. Martin geweihten Kirchlein erstand.

In den alten Tagen des Jägers erwachte jedoch wieder die Jagdlust in unbezähmbarer Kraft; er verfertigte sich eine neue Armbrust mit starker Sehne und erlegte damit uneingedenk des geleisteten Schwurs an einem Sonntag einen prächtigen Steinbock mit gewaltigem Gehörn. Doch die Strafe folgte auf dem Fuß: ein Eisblock löste sich vom Firn und zermalmte den Frevler unter seinem Sturz, und als die Knappschaft am andern Tag zur Grube kam, fand sie kein Silbererz mehr, sondern bloß wertloses Blendegestein, das sich nicht schmelzen ließ.

nach Isser/Tirol 1906/07 H. 11 S. 5 f. (einer handschriftlichen Aufzeichnung im Bergwirtshaus zu St. Martin am Schneeberg nacherzählt) - Heilfurth A 1 Be 5 S. 234.
Aus: Gerhard Heilfurth, Südtiroler Sagen aus der Welt des Bergbaus, An der Etsch und im Gebirge, 25. Bändchen, Brixen 1968, Nr. 3, S. 14