Villanders

In grauer Vorzeit kamen alljährlich nach eingetretener Schneeschmelze einige Walchen aus dem Süden in die Gegend von Klausen und machten sich in geheimnisvoller Weise am Thinnebach zu schaffen, von allen gemieden, weil man ihre Sprache nicht verstand und ihrem verborgenen Tun und Treiben mißtraute. Einst wanderten in früher Morgenstunde zwei Klausener Bürger gen Bozen; da beobachteten sie, wie eine ganze Schar Walchen schwer bepackt vom Villanderer Berg niederstieg und nach dem Süden zog. Ganz hinten kam noch ein verspätetes altes Männlein mit eisgrauem Barte schwer keuchend unter seiner Last. Die beiden Klausener erbarmten sich des schwächlichen Alten und erboten sich, ihm seine schwere Last abzunehmen, was das Männlein mit Dank annahm. Doch die Last wurde auch den kräftigen Klausenern bald zu schwer, und nach einer Stunde Wegs setzten sie sich zur Rast. Der Walche bedankte sich gar sehr und schenkte jedem der Männer ein silberglänzendes Erzgestein und bedeutete ihnen, daß sie hiervon große Mengen im Thinnebachtale finden würden, wenn sie beobachteten, wohin der Schatten der Säbener Turmspitze am Sonnwendtage zur Zeit des Sonnenaufgangs fällt. Hierauf verschwand das Männlein, und die Walchen wurden nachher in der Klausener Gegend nicht mehr gesehen.

Als man in Bozen das Geschenk des Walchen für ein sehr wertvolles Silbererz erklärte, suchten die beiden Klausener zur nächsten Sonnwendzeit nach dem Schatten der Säbener Kirchturmspitze und fanden ihn an einer steil abfallenden Felswand, "Gerstayn" genannt, im Thinnebachtal. In einer Spalte dieser Felswand entdeckten sie einen von den Walchen getriebenen engen Stollen, der weit in den Berg führte und reiches Silbererz enthielt.

Erzkasten im Bergbau Villanders © Gasser Franz

Bergwerk in Villanders (Thinetal)
Erzkasten (Rolle) im Elisabeth-Stollen
Der Elibabeth-Stollen ist von einer Gruppe aus dem Dorf Villanders ausgebaut worden
und kann als Schaustollen besucht werden.
© Gasser Franz, Jänner 2005

Etwa um das Jahr 1200 begann man die Erzgänge zu Gerstein im Roßtal und in der Rotlahn in der Gemeinde Villanders mit gutem Erfolge bergmännisch zu erschließen, und bald erlangte das Villanderer Silberbergwerk wegen seiner reichen Ausbeute einen hohen Ruf, um dessen Besitz von geistlichen und weltlichen Herren viel gestritten wurde. Sein Betrieb hat sich bei sehr wechselvollen Schicksalen bis in die Gegenwart erhalten.

= Isser/Tirol 1906/07 H. 11 S. 7 f. - Heilfurth Nr. 21 S. 236.
Aus: Gerhard Heilfurth, Südtiroler Sagen aus der Welt des Bergbaus, An der Etsch und im Gebirge, 25. Bändchen, Brixen 1968, Nr. 6, S. 16