Bozner Stadtbilder - Die Obstklauber.
von Richard Staffler.

Wie zu allen Beschäftigungen braucht's auch zum Obstklauben eigene Leute. Es ist gar keine leichte Arbeit. Auch sie hat im Laufe der Zeiten gewisse Wandlungen mitgemacht. Fast kann man von drei Zeitaltern der Obstklauberei sprechen.

Der erste Zeitabschnitt beginnt mit der Eröffnung der Brennerbahn, das ist mit dem 24. August 1867 - die vorhergehende Zeit ist ziemlich undurchsichtig - und reicht bis in den Anfang der 70er Jahre. Was zunächst das Klauben der Früchte am Baume selbst anbetraf, so wies dasselbe im Verhältnis zu heute wohl fast keine unterschiedlichen Besonderheiten auf. Schon dazumal wurde sorgfältig geklaubt. So wie heute verwendeten die Obstklauber auch damals höchst einfache, einbaumige lange Leitern, die sogenannten Loanen. Diese bestehen aus einer entsprechend langen, feichtenen Baumstange (Loanstang) mit larchenen Querhölzern, sogenannten Sprüsseln und einem aus Weißbuchenholz angefertigten, halbmondförmig ausgeschnittenen "Fuß". Der an der Stange beweglich angebrachte Fuß ermöglicht das sichere Aufstellen der Loan auch auf unebenem Boden. Da die Leiter nur einbaumig ist, kann sie leicht zwischen die Äste geschoben werden, ohne daß die Bäume Schaden leiden. Auf diesen Leitern steigen die Obstklauber empor und auf den schmalen, runden Sprüsseln stehend - das ist für die Fußsohlen der Anfänger gar nichts angenehmes - klauben sie das Obst in den Klaubschurz. Der Obstklauber muß nach Standesbrauch mit beiden Händen wie ein Harfenspieler klauben und darf sich nicht mit einer Hand anhalten, sonst geschieht es, daß unten einer an die Loan klopft und sagt: "Mit zwei Hand' klaub'n!" Wenn der Klauber nach weitabstehenden Zweigen greifen muß, dann legt er den anderen Fuß um den zweithöheren Sprüssel und hanggelt sich dort ein, um das Gleichgewicht zu erhalten. Den Klaubschurz, der an zwei Gurten um die Schultern hängt, nennen die Oberländer, weil sie alleweil etwas Besonderes haben müssen, Klaubfürtich. Der richtige Bozner Klauberausdruck aber heißt "Schlatter".

Man sagt z. B. "a Schlatter voll, a halbe Schlatter". - Sobald also die Schlatter vollgeklaubt war, hat sie seinerzeit, im ersten Zeitabschnitt, der Obstklauber in einen gepolsteren Bugglkorb ausgeleert. Den vollen Bugglkorb hat er dann zum Wagen getragen und das Obst dort hinein gepackt.

Als Klaubwagen verwendete man hohe, zweirädrige, eingewandete Karren, die sogenannten Obstgratten.

Die Obstgratten wurden inwendig mit vier rupfenen Tüchern ausgelegt und in diesen Raum wurden die Äpfel hineingepackt. Zu unterst machte man ein sogenanntes G'wölb'n, das heißt man schichtete minderwertige Äpfel, Falläpfel, Moster u. dgl. in Gewölbeform auf, hernach kam eine Schichte geribbeltes Stroh (in späterer Zeit Holzwolle) und auf dieser Grundlage wurde dann das gute Obst gepackt, und zwar baute man Lage für Lage, die wieder mit Strohschichten abgebettet (abgedeckt) wurden, gewölbeartig empor. Zu oberst wurden die obenerwähnten vier Tücher übereinander zusammenschlagen, auf das Ganze legte man noch eine Rotzdecke und dann wurde die Ladung zwerchs mit Stricken zusammengeschnürt, damit sie sich nicht rühren und Schaden nehmen konnte.

Ganz obenauf schmiß man zu guter Letzt die Schlattern. Damit war jedoch der ganze Ritus und Zauber nicht zu Ende. Denn es mußten noch die Loanen fachmännisch aufgelegt werden. Zu dem Zweck mußten sie, wenn der Gratten voll beladen war, zur rechten Seite des Fahrzeuges angebracht werden und mit dem Fuß vorne ausschauen. Dann ging's vom Felde ins Magazin. Einer der Klauber spannte sich in das Gestänge (Gabeldeichsel), in die sogenannte Anz und zog den Gratten vermittels einer Halfter, die am Haken befestigt war, indes Hintennach die zwei anderen Klauber schoben. Waren insgesamt vier Klauber am Werke, dann half noch ein zweiter seitwärts links ziehen, wobei auch er ein Schulterseil über die Achsel nahm.

War der Gratten aber leer, dann wurde er nicht gezogen, sondern geschoben. In diesem Falle wurde die Anz nach rückwärts gekehrt, rechts wurden die Loanen aufgelegt, mit dem Fuß nach vorwärts, und an den Loanen wurde der Gratten geleitet.

Wie man sieht, wurde also ein genaues Zeremoniell beobachtet. Wenn man aber auf den Gratten nur Birnen lud, so geschah dies auf einfache Weise. Die Birnen wurden einfach hineingeschüttet und fertig war's. An Birnensorten gab es damals nur die Sommerzitronen, die Winterzitronen, die Grummetbirnen und die süßen Weihbirnen, die heute leider fast ganz ausgestorben sind. So ein Gratten faßte etwa sieben Bugglkörbe zu je 50 Kilo. Die Arbeitsleistung der Klauber war damals eine sehr anstrengende. Beispielsweise fuhr der "lange Schorsch" in einer Woche zweimal auf die Auerer Güter, zweimal über die Trutsch nach Caldaro, einmal nach Andriano und einmal in die Nalser Gegend.

Der Befehlshaber einer solchen Grattenfuhr war der sogenannte Grattenschaffer.

Vor der Apfelernte, www.SAGEN.at

Vor der Apfelernte
Aus dem Werke "Das Schloß Schwanburg"

Anfangs der [18]70er Jahre, also im zweiten Zeitabschnitt der Obstklauberei, kamen die großen vierrädrigen, sogenannten Packwägen auf. Der Obstbau war bereits beträchtlich im Aufschwung - früher hatte ein Bauer oft nur 10 Obstbäume im ganzen - sodaß sich die Notwendigkeit einer besseren Verfrachtung ergab. Mit diesen Packwägen begann zuerst die damalige Früchte-Exportgesellschaft. Für Birnenlieferungen und dann, wenn man einen ganzen Packwagen nicht füllen konnte, verwendete man aber nach wie vor die Gratten. Die Obsthändler besaßen zur selbigen Zeit meist kein eigenes Fuhrwerk; für sie fuhren damals der Mondschein, Sargant und Greifenwirt.

Die erwähnten Packwagen waren große Leiterwägen, die innen mit "Flecken" verkleidet wurden.

Auf den Bretterboden kam eine Lage Stroh und auf dieser baute man ähnlich wie bei den Obstgratten gewölbeartig das Obst auf.

Sobald dann die Ladung über die Seitenwände des Wagens, also in den leeren Raum emporwuchs, mußte man bedacht sein, daß die folgenden Lagen nicht herabtollerten. Zu dem Zwecke brachte man an der Seite gesimsartig Strohwülste, die etwa drei Faust dick waren, sogenannte Riedl an, wodurch die Lagen seitlich gestützt wurden. Die Oberländer, nämlich die Bewohner der Lanaer und Meraner Gegend, verwendeten zur Stütze sogenannte Spreizen.

Die oberste Schichte bildete ein besonders schönes Gewölbe und bestand ebenso wie die unterste aus minderwertigem Zeug, dem der Druck beim "Binden" keinen sonderlichen Schaden stiftete. Das Packen besorgte der sogenannte Wagenpacker, der eine besondere Fertigkeit haben mußte und auch gut bezahlt wurde. Wurde ein Wagen nicht gut gepackt, dann war die Ladung infolge des Rüttelns allerhand Schäden ausgesetzt.

Die ganze Ladung wurde hierauf außen mit "Flecken" umkleidet und mit Ketten oder Stricken festgeschnürt, sodaß sie sich nicht rühren konnte. Das nannte man den Wagen "binden". Sonst konnte es vorkommen, daß der Wagen, nachdem er eine Strecke zurückgelegt hatte, neuerlich, also "nachgebunden" werden mußte.

Zum Auf- und Abladen der Wägen errichtete man ein sogenanntes Gerüst; es wurden nämlich in die Räder Querhölzer hineingesteckt, auf diese legte man ein Brett und auf dem standen die Leute. Beim Aufladen trugen die Klauber die Bugglkörbe herbei und deren Inhalt wurde in den Wagen gepackt.

Das Abladen beim Magazin geschah in der Weise, daß die Weiberleut' das Obst in flache Handkörbe, sogenannte Zist'n klaubten, die ins Magazin getragen, gewogen und auf Häufen ausgeschüttet wurden. Das Abladen eines Wagens nahm oft ¾ Stund in Anspruch. Im Magazin trat der sogenannte G'wölb'nknecht in seine wichtige Tätigkeit. Er hatte zu wägen, die Weiber zu bedienen, zu schütten u. dgl. mehr. Wehe, wenn er beim Schütten übergangen wurde.

Obstklauber, www.SAGEN.at

Die Obstklauber
Aus dem Werke "Das Schloß Schwanburg"

An Ort und Stelle, auf der Wiese wurde nur dann gewogen, wenn der Händler von mehreren Bauern am Feld kleinere Partien gekauft hatte und diese mehreren Partien zusammen erst einen Wagen ausmachten. In diesem Falle wurde das Obst in Bugglkörben oder Zist'n an Ort und Stelle gewogen.

Die ganze Obstklauberei vereinfachte sich schließlich um die Jahrhundertwende, also im dritten und jüngsten Zeitabschnitt, als die sogenannten Transportkörbe, nämlich gepolsterte Körbe mit einem Fassungsraum von etwa 70 Kilo aufkamen. Jetzt leeren die Klauber ihre Klaubschürze einfach in den Transportkorb und dieser wird auf den Wagen gestellt. Das Abladen ist natürlich auch höchst einfach.

Die Transportkörbe sind zuerst bei den Oberländern aufgekommen. Diese haben ihre Obstwiesen meist in der Nähe der Ortschaft, also der Magazine; sie trugen deshalb anfänglich das Obst in Bugglkörben ins Magazin. Als dann die Obstmenge zunahm, entferntere Wiesen bepflanzt wurden und das Tragen zu beschwerlich wurde, verfielen sie schließlich auf die Transportkörbe, die sie auf Wägen zum Magazin führten. Diese sinnreiche Erfindung bürgerte sich dann auch rasch in der Bozner Gegend ein.

Bozner Obst wurde schon anfangs des 19. Jahrhunderts in Kisten verpackt auf zweirädrigen Karren und größeren Landwägen über den Brennerpaß und die Scharnitz nach München geführt, teils über Innsbruck zur Haller Lend und nach Schwaz, den Verladeplätzen des schiffbar gemachten Inns geliefert und von dort auf sogenannten Schiffsplätten (Flachschiffen) nach Wien zum Schanzl, dem Donauuferplatz verfrachtet. In Wien verkauften es die Schiffsunternehmer entweder im Wanderhandel durch Frauen, die in der Tracht der Exgrafschaft gekleidet waren und von Haus zu Haus zogen, oder sie verkauften es an Wiener Geschäftsleute.

Der Topograph Joh. Jakob Staffler erwähnt in seiner Statistik des Jahres 1847, daß viele tausend Äpfel nach Bayern, Österreich, Preußen, Polen und selbst nach Rußland ausgeführt worden sind. Nach dem Bericht der Bozner Handels- und Gewerbekammer für das Jahr 1880 waren es vor Eröffnung der Brennerbahn die Karrner, welche fast allein den Obstabsatz in den größeren Orten, insbesondere nach Bayern besorgten. Diese Zunft bildete daher seinerzeit einen nicht unbedeutenden Träger des wirtschaftlichen Verkehrs. Durch Kraxentrager dürfte Bozner Obst wohl nicht verliefert worden sein. Wohl aber ist Meraner Edelobst, besonders Trauben, durch Kraxentrager über den Jaufen nach Innsbruck und München verliefert worden, weil dies offenbar noch eine raschere Beförderung war als auf der Landstraße über Bolzano. Um das Jahr 1858 gab es in Passeier ungefähr 200 Träger und Trägerinnen.

Man möchte aber meinen, daß schon vor Eröffnung der Bahn Bozner Geschäftsleute mit dem Ein- und Verlauf von Obst sich befaßt haben, die aber allerdings nicht in der Lage waren, mit den Abnehmern unmittelbar in Verbindung zu treten. Wahrscheinlich kamen, wie meine Gewährsmänner aus dem Obstfach meinen, früher die Einkäufer selber herein und tätigten die Geschäfte unter Vermittlung der Spediteure, die am Bozner Platz eine große Rolle spielten und für die Verfrachtung Sorge trugen. Wie gesagt, wurde ein Großteil des Obstes durch die Karrner verliefert.

Neben Äpfeln und Birnen wurden auch Kastanien verschickt. Merkwürdig ist die Art ihres Versandes vor Eröffnung der Brennerbahn. Damit befaßten sich die Firmen Hingerle und Joh. Bapt. Moar zum Teil als Spediteure, zum Teil auch für eigene Rechnung. Die Kastanien wurden in große Fässer verpackt, die man zu dreiviertel füllte und mit Luftlöchern versah. Der Frachter, der sie über den Brenner beförderte, hatte den Auftrag, bei Übergabe der Fässer an einen anderen Frachter in Innsbruck oder anderswo, diese, nämlich die Fässer, zu "rollen", damit die Kastanien ordentlich durchgeschüttelt wurden, um sie vor dem Verschimmeln oder Ersticken zu bewahren. Auch beim Kastanienhandel spielten die Karrner eine gewisse Rolle. Sie besuchten im Herbste jeden größeren Markt und errichteten Buden, wo sie die gebratenen Kastanien verkauften.

Einen allgemeinen Aufschwung nahm der Obsthandel und damit auch der Obstbau erst nach Eröffnung der Brennerbahn 1867, als sich tüchtige Bozner Kaufleute auf den Obst-Handel verlegten und nach allen Richtungen direkte Absatzgebiete aufsuchten. Ausfuhrsorten an Äpfeln waren damals die Schafnase, der Maschanzger, der weiße Herbsttaffeter und der Spitzlederer. Die Auswahl war demnach nicht groß. Die anderen Sorten sind alle erst später eingeführt worden. Zu den ältesten Bozner Obsthändlern gehörten die damalige Früchte-Exportgesellschaft, nachmals Marzell Christanell, die bereits 1868 gegründet worden ist, Peter Staffler in der Hintergasse, dem einmal der Schauer alles erschlug, sodaß er einen Schaden von 60.000 fl. erlitt und fertig war, ferner die Firma Holzknecht in der Karrnergasse, Sebastian Tschugguel, Georg Mahlknecht.

Ursprünglich wurden nur gute Wiesen mit Obstbäumen bepflanzt, z. B. die Grutzwiesen im Zwölfmalgreiener Gebiet. Als dann die Überschwemmung des Jahres 1882 die Streumöser in der Sigmundskroner Gegend übermurte, bekam man um billiges Geld solche Gründe und man begann nun auch dort Obstbäume, anzupflanzen.

Als Obstzüchter ist besonders Herr von Zallinger, Besitzer des Weinberlhofes, in den Apfelhimmel eingegangen. Er hat den sogenannten Napoleone, Köstlicher eingeführt, der ihm zu Ehren der "Köstliche von Zallinger" genannt wurde.

Sogar die Advokaten haben sich seinerzeit um die Hebung der Obstzucht verdient gemacht. Es besaßen nämlich einmal ihrer drei oder vier Advokaten, darunter Dr. v. Walther, Dr. v. Röggla in Lames eine größere Wiese, die man die Advokatenwiese nannte. Ihre Besitzer bepflanzten sie reichlich mit Obstbäumen. Von den Griesern zeichnete sich besonders Ignaz von Aufschnaiter aus, der in der Kaisernau viele Obstbäume setzte.

Der Bozner Landwirtschafts- und Gartenbauverein, der am 14. Februar 1870 aus der Verschmelzung des am 25. Jänner 1869 ins Leben gerufenen Gartenbauvereines mit dem landwirtschaftlichen Bezirkverein (gegründet 1868) hervorgegangen war, schuf im sogenannten Mairgütl in der Nähe des Gasthauses "Rosengarten" einen eigenen Versuchsgarten und wirkte sehr ersprießlich.

Seit dem Kriege werden wieder fort und fort Obstbäume gesetzt. Doch hat der Krieg auf dem Gebiete des Obsthandels einschneidende Wirkungen gezeitigt. Vor dem Kriege wurde nämlich das Obst großenteils im "Blue", zur Zeit der Blüte, manchmal schon im Winter oder auf mehrere Jahre überhaps verlauft, wobei der Händler gewisse Kulturarbeiten, z. B. Schwefeln, Spritzen, Stutzen, Auslichten, selbst zu befolgen hatte und Wag und Gefahr trug. Derartige Käufe sind nach dem Kriege abgekommen. In der Kriegszeit hatten nämlich die Händler nicht genügend Arbeiter, um die Kulturarbeiten und besonders das Klauben zu besorgen; dazu konnten sie die Frauen, Kinder und das Gesinde hernehmen. Dadurch lernten sie das Obst am Baume, das heißt den vermutlichen Ertrag schätzen, und sobald sie das einmal gelernt hatten, schlossen sie nicht mehr die erwähnten Käufe ab, sondern verkauften vielfach auf Gewicht zum Magazin gestellt oder sie verkauften zu Beginn des Sommers die Ernte am Baum, wobei der Händler nach dem Fruchtansatz den Ertrag schätzte. Heute wird wohl überhaupt nur mehr auf Gewicht verkauft und klauben tun die Bauern meistens selber.

Nach dieser wirtschaftsgeschichtlichen Abschweifung mögen aber noch einmal die alten Obstklauber zu Worte kommen.

Da waren einmal die Jenesinger, die zur Erntezeit ins Tal herabstiegen und als Obstklauber Beschäftigung fanden. Mit ihren breiten Achselstücken und ihrer ragenden Körperlichkeit nahmen sie sich oben auf den Loanen recht gut aus. Von der Steigerei beim Tschurtschenklauben brachten sie anscheinend eine gewisse Geschicklichkeit mit.

Allein den Kern der Obstklauber bildete je und allzeit die altbekannte Gilde der Bozner Gelegenheitsarbeiter, der sogenannten Stadtraber. Im Vergleich zu denen waren die Jenesinger für nichts. Allerdings machten die Stadtraber an Montagen alleweil blau. Aber im nicht blauen Zustande waren sie die besten Klauber und Packer. Die Klauberei war für sie der Gipfelpunkt, die Krönung ihres bürgerlichen Daseins; auf den Loanen oben waren sie wahrhaftige Wirtschaftskönige. Dort fühlten sie sich als nützliche Bindeglieder, als Träger eines in weite Fernen reichenden Handelsverkehrs, in den sie ihre Spitzbubengespräche und Loanensprüch hineinverwoben. Die Entlohnung war sehr gut. In der ersten Segelepoche - der Obstgratten hieß bei ihnen das Segel - erhielten sie 3 Gulden in der Woche nebst der Kost, die in Brot, Käse, Speck und Leps bestand. Später bekamen sie für den Tag 1 fl. Jene Segelzeit, in der sie das geklaubte Obst selbst über Land ins Magazin beförderten, war überhaupt ihre schönste, ihre stolzeste und ihre glücklichste Zeit.

Die hauptsächlichste Vorliebe hatten sie für das Kirschenklauben. Dabei mögen wohl lyrische, frühsommerliche Gefühlsstimmungen in ihrer rauhen Seele mitgeschwungen haben.

Wenn sie in der Kirschenzeit jemand zu irgend einer anderen bürgerlichen Arbeit verwenden wollte, dann sagten sie sofort: "Ach was, i gea lieber um an Flagg (1 fl.) ‚Boaner angeln'", das heißt Kirschen klauben.

An der Talferbrugg'n bot sich der abendlichen Bevölkerung damals zur Kirschenzeit etwa gegen 7 Uhr immer ein idyllisches Bild. Da kamen die Kirschenklauber von Gries her langsam über die Brugg gewandelt. Auf dem Kopfe trugen sie einen großen Zegger voll Kirschen, der auf einem runden Kopfpolsteile auflag. Die rechte Hand lehnten sie zur Stütze des Gleichgewichtes an die rechte Seite des Zeggers. Wenn dann die Schulkinder recht mühselig waren und recht beweglich um Kirschen baten, dann griffen sie lässig mit der linken Hand in den Zegger hinauf und ließen einige Kirschen auf den Boden fallen. Diese Originalkirschen hatten für die Kinder natürlich einen größeren Wert als die auf dem Markt gekauften.

Beim Anblick der Kerschenklauber sagten dann die Hausfrauen in der Fleischgasse: "Herrgott, jetzt muß ich schauen, daß ich mit dem Essen fertig werde, jetzt kommen schon die Obstklauber, jetzt ist's glei sieben Uhr". Die Obstklauber waren also für die Fleifchgaßler Hausfrauen so eine Art Stadtuhr. Erst der Obsthändler Alois Gelf hat dann durch die Einführung der Wägen Ende der Wer Jahre diese Uhr abgeschafft.

Ungefähr gegen sieben Uhr, vielleicht etwas früher zog noch eine andere Gilde sieghaft über die Talferbrücke in die Stadt herein. Das waren die Grieser Milcherinnen mit ihren Milchwagelen. Die Milchwagelen waren zweirädrig und darauf thronten zwei oder drei größere Milchkessel. Das Deichselchen war altem Brauch gemäß nach rückwärts gekehrt und an dem schob die Milcherin ihr Nagele. An der rechten Seite des Gefährtes hingen die Maßkandelen von ¼, ½ und einem Liter. Die Milcherinnen führten ihre Milch stets zu bestimmten Kundschaften. Blieb ihnen dabei etwas Milch übrig, dann wurden sie von den Botschafterinnen der Hausfrauen, die etwa eine Extramilch brauchten, mit dem Hafele in der Hand oft geradezu bestürmt.

Die Milcherinnen waren meist junge Dirnen, Baumannstöchter und nur ganz ausnahmsweise richtige Bauerntöchter. Da sie viel getratzt wurden, so hatten sie sich durchschnittlich eine resche, gute Mundfertigkeit erworben. Vor dem Haufe der Kundschaft stellten sie ihre Nagele zu einem Pfeiler, nahmen den Milchkessel am Henkel und gingen dann ins Haus. Indessen sammelten sich oft die Fratzen um das Nagele, steckten Blümlen oder Steinchen in die zurückgebliebenen Maßkandelen oder legten gar größere Steine vor die Räder, fodaß die Milcherinnen nicht sofort weiterfahren konnten und wegen des Unfuges zu schimpfen begannen.

Nach besorgter Arbeit traten sie, um sich vor Verfolgungen zu sichern, in Rudeln von sieben bis acht Mädeln lachend den Heimweg an. Wenn Schnee fiel, schürzten sie die Röcke hoch, entweder mit einer Sicherheitsnadel oder indem sie aus zwei Zipfeln einen Knopf machten, sodaß der rote Barchent ihrer Unterkittel im Stadtbilde freudig aufleuchteten.

Zum Schlusse noch einmal zurück zu den Obstklaubern und ihren Sinnsprüchen. Es geschah einmal, daß so ein Stadtraber beim Kirschenklauben sich eben daran machte, den Gipfel eines Kirschbaumes abzuhacken. Während dem kam gerade der Bauer zurecht und sagte: "Was tust denn, du wirst mir doch nicht den Gipfel abhacken?" Darauf erwiderte der Putzenklauber: "Bauer, wenn ich sie heut nicht krieg', dann krieg' ich sie nächstes Jahr gar nimmer."

Quelle: Bozner Stadtbilder, III. Die Obstklauber. Von Richard Staffler, in: Der Schlern, Illustrierte Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 15. Jahrgang, 10. Heft, Oktober 1934. S. 469 - 473.