HANS LUTZ VON SCHUSSENRIED

Die Steinmetzen von Bozen wurmte es nicht wenig, daß der junge Schwabe Hans Lutz ihrer mit so vielem Kostenaufwande hergestellten Pfarrkirche die Krone durch den Turm aufsetzen sollte. Sie sannen auf Rache, und weil es ohnehin im Plan lag, der Kirche zwei Türme zu geben, unterfing sich der Steinmetzgeselle Wilhelm Großmund von Bozen zu behaupten, er wolle den zweiten Turm so schief bauen wie Meister Wilhelm von Innsbruck den Turm zu Pisa, wenn man denselben unter seine Hände gäbe. Zugleich versprach er den übrigen Gesellen, welche dem Lutz ebenfalls neidig waren, daß er dem Meister schon noch einen Brand schüren werde.

Er hatte aber am gleichen Tage vorher am begonnenen Turm ein Gerüstbrett gelegt, daß Meister Lutz des andern Tages, sobald er nach Gewohnheit in der Früh den Bau zu besichtigen käme, unfehlbar in die Tiefe stürzen mußte.

Da begab es sich aber, daß der Großmund etwas auf dem Gerüst vergaß, und er eilte mit Tagesanbruch, als noch alle schliefen, hinauf, aber in der Eile vergaß er auf das Fallbrett, trat unversehens darauf, stürzte herab und brach sich den Hals. Beim Erwachen freuten sich die Neider schon auf den Fall des Meisters Lutz und gingen schadenfroh zur Arbeit. Aber sie fanden den in die Grube gefallen, der sie dem andern gegraben hatte, und glaubten, der Teufel habe ihn um Mitternacht hinaufgeködert und hinabgestürzt. Keiner getraute sich mehr zum Bau des zweiten Turmes Hand anzulegen. Zum Wahrzeichen steht er noch heute ein paar Schuh über das Gesimse der Kirchenmauer aufgeführt. So war der Großmund untergegangen, Meister Lutz aber führte seinen Turm ohne weiteres Hindernis zu Ende.

Man sagt, der stolze Turm habe viel, viel Geld gekostet, und wenn die Steinmetzen und Bildhauer ihre Geduld verloren haben und nimmer arbeiten wollten, hätten die reichen Bozner Kaufleute das Geld in Scheibtruhen herbeiführen und es ihnen vorschütten lassen, worauf jene wieder ihren Meißel ansetzten.

Als nun der Turm meisterhaft und fehlerlos schlank aufwärts strebend vollendet war, fing er in der dritten Nacht nach seiner Vollendung an, sich auf eine Seite zu neigen, und ein zweites Spiel der Hölle fürchtend, in der Meinung, der Großmund könne mit des Satans Hilfe nicht bloß einen hängenden, sondern einen einstürzenden Turm daraus zuwegebringen, machte sich Meister Lutz heimlich auf und floh den unheimlichen Spuk, bevor er die ganze Baukostensumme in Empfang genommen hatte. Mit seiner Entfernung hörte das Sinken des Turmes auf.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 201 f.