DER ALMGEIST

Einst gingen drei Knechte abends in den Wald. Als es anfing, graudunkel zu werden, waren sie nicht mehr weit von der Saubacher Alm. Weil die Nacht vor der Türe war, gingen sie hinauf und nahmen in einer Sennhütte Nachtquartier. Sie trugen dürres Reisig zusammen, machten Feuer auf und vertrieben sich mit jodeln und Späßen die Zeit.

Einer nahm einen hölzernen Block und schnitzte daraus eine plumpe Figur, die er den Almgeist nannte. Dann legten ihr die zwei älteren Knechte unter lautem Gelächter eine alte, lumpige Jacke an und setzten ihr einen durchlöcherten Hut auf. Dann hieb der erste ihr Hände und Füße ab, und der zweite warf sie ins Feuer mit den höhnenden Worten: "Hier brate, damit wir dich fressen können!"

Der Jüngste schaute zu, schüttelte aber bedenklich den Kopf und meinte, sie sollten nicht so tun, der Almgeist könnte kommen und sich rächen. Als sie sich so einige Zeit mit dummen, rohen Späßen vertrieben hatten, wurden sie schläfrig. Sie gingen in das anstoßende Lager und legten sich in die von groben Brettern zusammengezimmerte Bettstatt auf wenig Heu. Auf einmal erschollen mitten in der stillen Nacht Fußtritte in der Küche. Der Jüngste fuhr vom Schlafe auf und stieß die andern an, daß sie ebenfalls erwachten. Aller Augen wandten sich nun der Küche zu. Sie sahen den Almgeist beim Feuer sitzen; bald richtete er seine glotzenden Augen auf sie, bald starrte er wieder ins Feuer. Schrecken lähmte ihre Glieder, und vor Angst zitterten sie wie Espenlaub. Auf einmal stand er auf, schritt dem Lager zu, packte den Ältesten und erwürgte ihn; dann nahm er den zweiten, trug ihn aus der Sennhütte hinaus und schmiß ihn aufs Dach, daß ihm alle Rippen krachten, kam dann wieder zurück und gab dem Jüngsten eine gewaltige Maultasche, daß ihm Hören und Sehen verging und er erst beim ersten Tagesgrauen aus dem todesähnlichen Schlummer erwachte. (Saubach.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 407, S. 238