DAS GESTOHLENE BEIN

Ein Knecht trieb einst zu Kollmann das Vieh über den Friedhof zur Tränke. Als ein Ochs nicht gehen wollte, nahm er ein Totenbein, das gerade da lag, und schlug damit das widerspenstige Tier. Heimgekehrt, warf er den Knochen in einen Winkel und achtete der Sache nicht weiter. In der folgenden Mitternacht kam ein Geist zu ihm ans Bett und rief:

"Bringst du mir morgen nicht mein Bein,
sollst von mir zerrissen sein!"

Da ließ es den Knecht nicht länger schlafen, er ging schon am frühen Morgen in den Stall und suchte nach dem Beine. Doch all sein Suchen war vergebens. Voller Angst lief er nun zum Geistlichen und klagte ihm seine Not. Dieser gab ihm den Bescheid: "Besprenge den ganzen Stall mit Weihbrunnen und du wirst das Bein finden. Stell dich dann nachts, Schlag elf Uhr, unter die Haustür, dann wird ein Zug von Geistern kommen, die Lichter in den Händen haben, bis auf den letzten. Diesem gib das Bein!" Der Knecht folgte dem Rate, fand das Bein und stellte es dem Geiste zurück, als er gegen Mitternacht mit vielen Geistern zum Hause kam. (Kollman.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 495, S. 275