Die stummen Lerchen

Fortezza sura die Ruine,
Blickt ernst aus dunkeln Riesentannen,
Blickt still ins Thal [Tal] mit düstrer Miene,
Ist ohne Ritter, ohne Mannen.

Die Ritter sind schon lang verblichen.
Zerfallen sind die starken Mauern,
Die Zeit schrieb drauf mit wunden Strichen,
Wie kurz des Lebens Blüthen [Blüten] dauern.

Der Mensch geht heim, der Schöpfung Spuren
Verbleiben ewig jung im Leben,
Am Hügel grünen noch die Fluren,
Auf Höh'n die alten Adler schweben.

Am Stein die gleichen Käfer summen.
Und was einst Zierde der Kapelle,
Es blüh'n verjüngt die gleichen Blumen,
Noch perlt im Park die alte Quelle.

Doch eines ging im Thal verloren! -
Der Lerchen sang ist d'raus verschwunden,
Der Lenz kommt ohne Tanz der Horen,
Warum? wird dir die Sage künden:

Fortezza sura eine Veste
War einst dem Schirmvogt zugekommen.
Der hat der Freiheit letzte Reste
Mit harter Hand dem Volk genommen.

Ward d'rum belagert viele Wochen
Im wilden Kampf auf Tod und Leben,
Im Sturme selbst das Thor [Tor] erbrochen:
"Herr Schirmvogt wollt ihr euch ergeben?"

""Ich will es! doch mit dem Versprechen
Des freien Abzugs aus dem Thale,""
"Es sei! wir wollen uns nicht rächen"
So riefen laut die Stürmer alle.

Der Schirmvogt geht.
D'rob jauchzt die Menge
Doch leider muß ichs weiter sagen:
Der böse Mann ward im Gedränge
Trotz des Versprechens todt [tot] geschlagen.

Seit dem kann keine Lerche singen.
Dem Knaben lehren nun die Alten:
"Du sollst dein Wort in allen Dingen
Ja selbst dem Feinde heilig halten!"

Quelle: Märzenveilchen, Johann Nepomuk von Alpenburg, Innsbruck 1855, S. 30f