Der Schatz im alten Schloß

Zu einer Zeit, da der Weg zum Jaufenübergang über Stange-Jaufensteg zu Berge führte, hauste auf halber Höhe in seinem festen Schlosse das Geschlecht der Raubritter zu Reifenegg. Sie lebten von Diebstahl, Mord und Überfällen auf die schutzlosen Wanderer und häuften Gold und unermeßliche Schätze in ihrer Feste, die noch heute - Jahrhunderte nach dem Verfall des Kastelles - wohlversteckt und von einem wilden Hunde bewacht, ihres Finders harren, jedoch nur alle 100 Jahre einmal blühen und sich bloß mutigen Leuten, die reines Herzens sind und allen Bedingungen zum Heben des Hortes gerecht werden, sich zeigen.

Viele haben dies schon versucht, allen hat es aber noch entweder Arm oder Bein gekostet. Der unterirdische Gang, der den Keimhof in der Stange mit Reifenegg verband, ist zerfallen und Wald und Gesträuch wuchern aus der einstigen Feste Ruinen.

Eines schönen Sommertages war nun einmal ein junger Knecht auf der nahen Burgwiese mit Mähen beschäftigt und das taufrische Gras fiel in breiten Schwaden unter dem Schwünge seiner Sense. Da stand mit einem Male wie aus dem Boden gewachsen ein kleines, verhutzeltes Weibile vor dem Knechte und warf ihm einen Bund rostiger Schlüssel ins hohe Gras, so daß er unversehens hineinmähte. Es tat einen grellen Klingler, der Sense Schneide und des Burschen Humor waren jedoch verdorben. Das Weib versuchte jedoch den Tobenden zu beschwichtigen und sagte:

"Zähme deinen Unmut. Nimm die Schlüssel und sperre damit das Tor zum alten Schloß auf. Vergiß aber nicht vorerst eine heurige Haselgerte zu schneiden, denn nur mit einer solchen kannst du den wilden, schatzhütenden Hund besiegen, der einer der verwunschenen Ritter ist und Schloß und Gold zu bewachen verurteilt ist. Geh' durch das Tor und durchschreite hierauf den langen Gang, der zu einem großen Saale führt, in dessen Mitte eine riesige Kiste stehen wird, darin der Schatz liegt. Der Hund wird ihn aber zu verteidigen wissen und keinem ist es noch gelungen, ihn zu bändigen. Schaue während des Kampfes aber niemals in die Höhe, das wäre dein Tod. Gelingt es dir, das Biest unterzukriegen, wirst du der Reichste im Lande sein, sofern du nicht der Armen im weiten Umkreise vergessen wirst."

Der Alten Worte drangen verlockend an des Knechtes Ohr, er warf die Sense ins Gras und drang mit Hilfe der Schlüssel in die Burg. Von Waffen und alten Gemälden starrte deren Inneres und schon von weitem erstrahlte die gleißende Kiste.

Da sprang aber auch schon der angekündigte Hund auf den Eindringling los und glühende Feuergarben flogen aus seinem brennenden Rachen. Doch furchtlos ging ihn der Knecht vom Burghof an und es schien ihm fast, als ob das Tier eine Berührung mit der Haselgerte meiden wollte. Schon hatte er den schwarzen Schatzhüter in einen Winkel getrieben und wähnte sich Sieger, als der Hund hoch aufsprang, um den Burschen anzugehen. Entsetzt folgten ihm dessen Augen, als sein Blick auf etwas stieß, das sein Blut in den Adern erstarren ließ.

Zwei riesige Mühlsteine hingen an einem Faden ober seinem Haupte und schon glaubte er, sie würden ihn zerschmettern. Voll Angst wich er zurück, um sich den Bückweg zu erkämpfen. Da fiel sein Blick auf eine schöne, junge Frau, die hinter der Kiste stand und ihm ermutigend zuwinkte.

Des Knechtes Mut war jedoch gebrochen und er floh, auf einmal von mehreren Hunden verfolgt, dem Ausgang zu.

Als er im Walde ankam, wohin ihm die schwarzen Teufel nicht zu folgen berechtigt waren, vernahm der Knecht ganz deutlich aus dem Burginnerem eine zarte Frauenstimme, die herzzerreißend weinte:

"Ach hättest du doch irgend einen geweihten Gegenstand auf die Kiste geworfen, sie wäre dein gewesen. Jetzt aber muß ich weitere 100 Jahre warten. Inzwischen aber wird die Menschheit kleiner und mutloser sein als jetzt!"

Ein donnerähnliches Rollen folgte ihren Worten, der Schatz war verfallen und von des Schlosses Tor keine Spur mehr zu finden. -

Noch einmal versuchten es zwei Leute aus der Sterzinger Gegend, den Hort zu heben, die Lippen-Rosl und der "oantatzate Peatr" (einhändige Peter). Auch sie hatten das Glück, das Tor, den Saal und die Schatzkiste zu finden und auch der wilde Hund kam auf sie zugerannt. Da sie aber nicht die rechten Leute waren, die nicht mit reinen Gedanken an die Sache gingen, schlug der Hund der Rosl mit seinem feurigen Schwänze ins Gesicht, so daß sie zeitlebens geschwollen war und eine wilde, entstellende "Rappe" (Wundkruste) an der Wange trug. -

Seit jener Lektion ist es ruhig geworden um Reifenegg. Nur die letzten Reste der Ruine blicken stumm zu Tale und das Volk meidet fast ängstlich die Stelle. - (Vgl. "Die schönsten Sagen aus Südtirol" von Paulin, Seite 103.)

Quelle: Fink, Hans, Eisacktaler Sagen, Bräuche und Ausdrücke. Schlern-Schrift Nr. 164, Innsbruck 1957, S. 48 f.