Wer war Pfeifer Huisile?

Es gibt Gestalten im Volk, die in der Geschichte untergegangen sind und in der Sage weiterleben. Mit größter Liebe hängt das Volk an solchen Überlieferungen, die sich immer wieder erneuern. Jede Generation fügt ihren Teil hinzu, bis sich endlich unter Mitwirkung von Jahrhunderten ein geistiges Gemälde ergibt.

Eine solche Gestalt, die dem Volk bis zur Gegenwart unvergeßlich war, ist Pfeifer Huisile. Hier vermengt sich Sage und Geschichte. Hier vereinigen sich wie in einem Brennpunkt uralte Vorstellungen mit einer zweifellos geschichtlichen Person. Pfeifer Huisile hat wirklich gelebt. Sein Tod im Jahre 1680 ist in einer Chronik von Meran festgehalten. Das deckt sich auch mit der Tradition im Pflerscher Tal, wonach das Auftreten Pfeifer Huisiles mit dem Kirchenbau zusammentraf.

Die erste "Bekanntschaft" mit dieser seltsamen Gestalt verdanke ich dem alten Fürstbauer von Rinaders, den ich im Dezember 1934 auf einer Gemsjagd am Tribulaun begleiten durfte. Damals zeigte er mir den "Pfeifer Huisiles Graben" im Talhintergrund, ohne daß ich diesem Hinweis besondere Beachtung geschenkt hätte. Ich glaubte an irgend einen der vielen Flurnamen in den Bergen. Bei der Niederschrift der "Wipptaler Heimatsagen" erwachte mir zum erstenmal die Vermutung eines größeren Zusammenhanges. Das bildete dann die Anregung, daß ich im Jahre 1948, je nach Gelegenheit, die Talwanderungen wieder aufnahm und damit langsam und beschwerlich Baustein um Baustein zusammentrug. Immer deutlicher entstand dann das Bild einer nicht alltäglichen volkstümlichen Persönlichkeit, deren letzte Spuren endgültig von der Vergessenheit überdeckt zu werden schienen. Es war wie das Bloßlegen eines alten, wertvollen und schwer beschädigten Gemäldes.

Die Spuren führten von Obernberg nach Pflersch, von Pflersch in das Sterzinger Gebiet, von dort wieder in das Sarntal und Passeiertal, so daß der Kreis immer weiter gezogen werden mußte.

Der Kernpunkt der Sage liegt im Sterzinger Gebiet. Nördlich des Brenners sind im Navistal die letzten Erinnerungen fast erstorben, im Süden jedoch reicht die Sage bis in die Brixner Gegend, wo dann deutlich die Vermischung mit der Sage vom "Lauterfresser" zu erkennen ist. Ungemein volkstümlich ist Pfeifer Huisile im inneren Sarntal und im Passeiertal. Sein Einfluß geht noch bis Meran und Ulten. In Vintschgau greifen zwei Sagenkreise ineinander, aber der Einfluß von Pfeifer Huisile ist noch unverkennbar. Spuren weisen auch auf Mölten und den Tschöggelberg. Weitere Nachforschungen in die abgelegenen Hochtäler und Bergsiedlungen Südtirols dürften vielleicht noch interessante Ergebnisse mit sich bringen. Immer wieder erlebte ich überraschend neue Zusammenhänge und neue Ausblicke…

Ohne Zweifel gehörte Pfeifer Huisile einst zu den volkstümlichsten Tiroler Sagengestalten. Was ihn vor all den vielen Hexenmeistern aus Geschichte und Sage fast lichtvoll auszeichnet, ist sein Humor. Die Geschichten über den Lauterfresser sind düster und schwarz. Bei Pfeifer Huisilen aber ist der Schalk viel größer als der Dämon. Wie ein zweiter Till Eulenspiegel zog er auf seinem kleinen Eselein durch die Täler und Berge. Seine verschrobenen Einfälle sind so wunderlich, daß man nur herzhaft lachen konnte. Immer wieder fand er einen Ausweg und selbst den Teufel wußte er zu betrügen.

Andererseits aber erkennt man deutlich, daß sich auf seine Gestalt viel ältere Volksvorstellungen übertragen haben. Das Volk kennt keine Zeitunterschiede in der Vergangenheit. Es vermischt älteste Vorstellungen mit späteren Anschauungen und Personen. Die Vergangenheit ist dem Volk immer geheimnisvolle, und alles Vergangene wird daher in kurzer Zeit zu einer Sage. Die Geschichte des Volkes sind seine Sagen und die Sagen sind daher oft der einzige Behelf des Geschichtsforschers!

In der Gestalt Pfeifer Huisiles vermengen sich daher in fast dramatischer Form Sage und Geschichte, die unmerklich ineinanderfließen. Sogar die Faustsage schlägt in sein Leben hinein. Das Erlösungsmotiv durch die Mutter Gottes ist in einer ungemein dramatischen und volkstümlichen Begebenheit überliefert. Man kann daher Pfeifer Huisile als einen volkstümlichen Tiroler Faust bezeichnen. Mit dieser Erkenntnis aber greift die Bedeutung Pfeifer Huisiles weit über unser Land hinaus…

Pfeifer Huisile stand einst im Mittelpunkt der Tiroler Sagenwelt. In diesem Buch schüttelt er den letzten Staub der Vergangenheit ab und steht wieder lebendig vor uns!

Der Verfasser

Innsbruck, am Sankt-Valentins-Tag des Jahres 1954.

Quelle: Pfeifer Huisile, Der Tiroler Faust, Hermann Holzmann, Innsbruck 1954, S. 7 - 8.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Februar 2005.