LEGENDENHAFTES VOM KREUZKOFEL IN ABTEI
Kreuzkofel, Abtei © Horst Piller

Kreuzkofel, Abtei
© Horst Piller, Februar 2006

Der Kreuzkofel in Abtei ist eine versteinerte Legende. Es hat vorzeiten ein überaus frommer Einsiedler da oben gehaust und nur von Waldbeeren und wildem Honig gelebt, denn er war der Weltlust abgestorben und beschäftigte sich mit nichts anderem, als mit der Betrachtung des Leidens Christi und der Geheimnisse des heiligen Meßopfers. Der Waldbruder war aber vordem ein großer Sünder gewesen und tat daher in dieser Einöde über die Maßen strenge Buße. Das dauerte so eine Zeitlang, daß er allein in der Wildnis war, da trug es sich zu, daß Gott der Herr ihm zu seiner leiblichen Notdurft eine Menge wilder Bienenschwärme sandte, die ließen sich in den Höhlungen des Kreuzkofels nieder und hatten da ihre Wohnung. Und des Honigs, den die wilden Bienen bereiteten, war da eine solche Menge, daß er allenthalben den Felsen hinabtroff und der fromme Mann täglich genug davon einsammeln konnte. Noch jetzt sieht man, wie die schwarzen Honigstreifen von den Felsspalten sich herabziehen bis an den Grund. über eine Zeit war es, daß der Einsiedler den frommen Wunsch hatte, das Leiden des Erlösers und die Geheimnisse des heiligen Opfers im Bilde zu schauen; siehe, da erhob er seine Augen und erblickte auf einmal, was er vorher nicht gesehen hatte: Der Kreuzkofel war so gestaltet, daß sein zerklüftetes Gestein die Bildnisse des Leidens Christi und die heiligen Meßgeräte vorstellte. Da war der gekreuzigte Heiland zu schauen, dort das steinerne Meßbuch, wieder anderswo der Kelch und so alles, was zur Messe gehört. Wie freute sich darüber der gottselige Mann! Nun konnte auch sein leibliches Auge sich an dem laben, was er sich so sehnlich gewünscht hatte.

Der Eremit ist vorlängst da verstorben, aber die heiligen Formen und Gestalten sind die Felswände hinauf noch heute leicht zu ersehen, und die Stätte, wo der Gottesmann gewohnt hat, ist zur vielbesuchten Wallfahrt geworden.

Kreuzkofel, Abtei © Horst Piller

Kreuzkofel, Abtei
© Horst Piller, Februar 2006

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 556 f.