DAS GEKREUZIGTE KIND

In einem Bauernhause zu Platzers waren einmal während des Gottesdienstes zwei kleine Knaben allein zu Hause gelassen worden. Während sie beisammensaßen und spielten, kam auf einmal ein Hund zur Türe herein, sprang um sie herum, wedelte mit dem Schweife und tat so freundlich, daß ihm die Knaben arglos folgten, als er sich allmählich wieder der Türe näherte. So lockte er den einen Knaben bis vor das Haus, den andern aber brachte er noch weiter und führte ihn in den nahen Wald hinein.

Als die Leute vom "Kirchen" zurückkamen und nur den einen Buben zu Hause fanden, wurden sie verzagt und fingen an, allenthalben nach dem andern zu suchen. Sie gingen auch in den Wald, in welchen der Hund den Knaben gelockt hatte, allein, alle Mühe war umsonst. Als der Winter fast vorbei war, zeigte einmal ein Schäferhund durch sein Bellen und sonderbares Springen an, daß er etwas Außerordentliches gefunden habe. Der Schäfer, dem der Hund gehörte, ging hin und fand den vermißten Knaben mit ausgespannten Händen auf der Erde angenagelt, gerade so, als ob er an ein Kreuz geschlagen wäre. (Platzers.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 282, S. 172