DER HEXENTANZ AUF GANDELLEN

Auf den Gandellen liegt ein großer Stein, der im Munde der Talbewohner Hexenstein heißt. Er hat den Namen daher, weil seit undenklichen Zeiten auf ihm die Vorsteherin der Hexenzunft wohnt. Sie ist ein uraltes, häßliches Weib mit bösen Augen, blauen Lippen und struppigen Haaren. In der Hand führt sie einen stumpfgekehrten Besen, und ein weißgrauer Kittel ist ihr Kleid.

Will sie ihren Sitz verlassen, so schmiert sie die Sohlen mit der Hexensalbe, was sie auch tut, wenn sie ihre Schwestern an Donnerstagen abends zusammenruft. Denn wenn sie mit dieser Salbe bestrichen ist, leuchtet sie fernhin wie ein brennender Pechkranz, und auf dieses Zeichen kommen von allen Höhen und Bergen blaue Flämmlein herbei. Das sind ihre Schwestern und Gesellinnen, die von allen Seiten ihrer Meisterin zueilen. Ist es Mitternacht, so gibt die Alte das Hexenzeichen, und flugs ist das ganze Hexenvolk auf den Gandellen versammelt und harrt des Befehles.

Da winkt sie und nun beginnt der Hexentanz, wozu Katzen aufgeigen. Pfeilschnell schießen die Unholdinnen hin und her. Einmal sah eine Magd dieses Treiben, und es gefiel ihr derart, daß sie lange Zeit am Fenster stand und zuschaute. Da kam plötzlich ein bildschönes Fräulein herangeflogen und lud die Dirn zum Tanze ein. Dieser gefiel der Antrag so gut, daß sie gleich ihr schönstes Gewand anzog und auf Befehl der Fremden sich die Zöpfe löste. Dann nahm das Fräulein aus einem Büchslein, das sie an der Brust trug, eine Salbe und reichte sie der Dirn mit dem Bedeuten, sich alsogleich die Füße zu schmieren. Kaum hatte sie dieses getan, so fühlte sie sich federleicht, und lustig trug es sie durch den Kamin hinauf und durch die kalte Nachtluft zum tollen Feste. Munter tanzte die Dirn. In der Mitte des Platzes stand ein Tisch, worauf guter Wein und die herrlichsten Speisen standen.

So ging es toll und voll die ganze Nacht zu, bis der Morgen andämmerte. Dann wurden plötzlich die Gesichter blaß und gelb, und Fieberfrost schüttelte die verzerrten Glieder. Die Hexenmeisterin gab das Zeichen mit ihrem Besen, und husch, husch - waren alle blitzschnell von dannen gefahren! Sie hatten höchste Zeit gehabt, denn alsbald läutete die Aveglocke. Die Magd befand sich mutterseelenallein auf den Gandellen, und die köstlichen Speisen hatten sich in stinkenden Dünger verwandelt. (Passeier.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 732, S. 414