DIE ANTRISCHEN LEUT'

Durch das ganze Tauferer und Ahrntal geht die Sage von den antrischen Leuten und antrischen Löchern. Fast an jedem Bergabhang findet sich nämlich ein Loch in den Fels gehauen, ein sogenannter Schurf nach etwa vorhandenen Metallen. Diese Schurflöcher sind von sehr verschiedener Länge; manchenorts hat man das Schürfen schon nach erreichter Metertiefe wieder aufgegeben, andere Gänge sind, soweit sie gemessen werden konnten, an die 30 und 50 Meter lang.

Fragt man die Leute, was diese Löcher zu bedeuten haben, so antworten sie: "Das ist ein antrisches Loch, da sind vor alters antrische Leut' drin gewesen." Unter diesen antrischen Leuten stellt sich das Volk kleine, in der Regel harmlose, meist freundlich gesinnte menschliche Wesen vor, welche in ganzen Familien einfach und karg von jeher in diesen Höhlen wohnen. Sie kommen nur selten heraus, nur, wenn sie von den Menschen etwas wollen, meist etwas zum Essen, und dann zeigen sie sich für die Wohltat dadurch erkenntlich, daß sie dem freundlichen Geber einen Schatz zeigen, oder etwas Wertvolles schenken.

Über ihre Abstammung berichtet das Volk wie folgt: Unser Herrgott kam eines Tages zu Adam und fragte ihn, wieviel er "Kinderler" hätte. Der Adam hat sich's aber nicht zu sagen getraut, weil er einen ganzen Haufen davon gehabt hat, und also leugnet der talkete Mensch wirklich dem Herrgott "woltan viel" von seinen Kindern weg. Darnach, wie der Herrgott so eine Weile den verlogenen Menschen angeschaut hat, sagt er auf einmal: "Die Kinder, die du mir jetzt fortgeleugnet hast, sind verborgen und bleiben verborgen!" So hat's den lieben Herrgott "verschmocht, des Loign". Seitdem halten sich diese von Adam verleugneten Kinder in den Berghöhlen auf.

Vor einem antrischen Loch hat man einmal Kinderhemden hängen gesehen. Zuvorderst in einem andern sahen die Leute eine Milchschüssel und einen Kreuzer darin. Sie füllten die Schüssel um den Kreuzer mit Milch und stellten sie wieder an den Eingang des Loches. Als sie das nächstemal vor der Höhle vorbeigingen, war die Milch fort und die leere Schüssel wieder mit einem Kreuzer am gleichen Platze.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 606 - 608