WIE DER SCHATZ IN DER BURGRUINE AUF DEM TOBEL BLÜHT

Am Eingang ins Reintal, eine Stunde von Taufers entfernt, steht die Schloßruine auf dem Tobel, in welcher ein großer Schatz verborgen ist. Die Leute beim Mair in der Aue, welcher der Burgruine gegenübersteht, wissen viel von dem Schloß und dem Schatz darin zu erzählen; ja, der Glaube an den Schatz war bei ihnen so stark, daß sie öfters selbst ausgingen, den Schatz zu heben. Vor vielen Jahren stand einmal in der Nacht die Burg auf dem Tobel in hellen Flammen. Die Nachbarn rennen zum Mair in der Aue, um es den Leuten daselbst zu melden und gemeinsam mit ihnen zu löschen. Da liefen die Maiersleute mit "Söchtan" und Schäffern, doch wie sie auf den Tobel kommen, ist vom Brand keine Spur zu entdecken.

Ein Hirt trieb einmal seine Schafe auf dem Burgweg (so heißt der Reinerweg beim Tobel) einher, aber plötzlich laufen sie alle in ein Feld hinab und der Hirte gleich hinterher, um sie wieder zurechtzubringen. Da sieht er unterm Weg einen Kessel voll Gold. Er sagte: "Erst treib' ich die Schafe aus dem Feld, dann komme ich ums Geld", aber er sah nachher keines mehr. Deshalb fing er an zu weinen: "Oh, hat i decht die Schofe gilatt und war bau Gelde blieb'n!"

Ein anderesmal ging ein Weib nach Rein. Da sieht sie am Weg, wo der Kesselreif angezeichnet ist, an der Platte eine große "Ziste" (Handkorb) voll Haselnüsse. Sie denkt: "Jetzt habe ich leider so schon so viel zu tragen, sonst würde ich solche Nüsse für die Kinder daheim mitnehmen, gerad' genug. Aber etliche stecke ich doch in den Sack." Wie sie nun heimkam und den Kindern die Nüsse geben will, sind's lauter Goldbröcklein. Sie geht wohl schnell wieder heraus, aber da ist keine Ziste und keine Nuß mehr zu sehen.

Zwei Hirtenbüblein gingen einmal spätabends vom Schafhüten nach Hause. Da sahen sie unter dem Burgweg eine Menge Gold. Der eine sagt: "Was tun wir damit?" Der andere aber meint: "Laufen wir heim und sagen's dort; jetzt geht da doch einmal niemand vorbei, weil's schon so spät ist." Sie liefen nun heim, aber als die Leute auf den Burgweg kamen, um das Gold zu holen, sahen sie allesamt keine Spur mehr davon.

Eine Dirn rechte einmal im Wald nahe bei der Burg Streu zusammen. Auf einmal stieß sie auf einen Haufen Fackenzähne, die überaus weiß und glänzend waren. Sie rechte die Streu zu beiden Seiten des Haufens für und schaute dann wieder nach den Zähnen. Aber es war im Augenblicke nichts mehr zu sehen davon.

Um 12 Uhr nachts sahen die Nachbarbauern einmal einen ganzen Haufen Lichter auf der Burg, alle schön zu einem Kranz gereiht. Die Leute sagten wohl untereinander, wer sich getraue zu gehen und den Schatz zu heben, der werde der Reichste von ihnen allen. Aber es hatte keiner die "Schneid", die Sache anzupacken und auf die Burg zu gehen - und so ist der Schatz bis heute ungehoben geblieben!

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 633 - 635