DAS GEISTERLICHT ZU TAISTEN

In den Außerwiesen, drei Viertelstunden von Taisten entfernt, hat man noch vor ungefähr fünfzig Jahren bei Nacht ein Licht hin- und herschweben gesehen, und die Leute haben sich so gefürchtet, daß eines allein sich in der Nacht nie vorbeigetraute. Auf ja und nein war das Licht da, auch wenn es augenblicks vorher noch am andern Ende der Wiesen gewesen wäre.

Da arbeiteten einmal beim Pratwieser die Schuster auf der Störe, und wie es der Brauch war, gingen sie abends noch zum Feichter, "Lichtstunde" zu halten. Um 8 Uhr begaben sie sich auf den Rückweg vom Feichter und kamen auf das gespenstige Licht zu reden und darüber zu spaßen. Einer von den Schustern sagte: "Wenn's Lichtl heute sich sehen läßt, muß es mir die Pfeife anzünden." Als sie zum Plankenzaun herkamen, war richtig auch schon das Licht zuhinterst auf der Wiese. Der Schuster sagte noch einmal: "Jetzt werde ich dran meinen Tabak anzünden." Im selben Augenblick war auch das Licht schon bei ihnen, und sie erschraken so, daß sie am ganzen Leibe zitterten. Sie kehrten um und liefen und liefen, bis sie sich irgendwo in eine Heuschupfe verkriechen konnten. Aber kaum waren sie im Heu, da fing es auf dem Stadeldach an zu pumpern und zu klumpern, als würde bald die ganze Hütte zusammenbrechen. Die Schuster begannen in der Höllenangst zu beten und beteten fort bis Mitternacht. Als es in Taisten zwölfe schlug, wurde es wieder still, und seitdem hat man auch das Lichtl nimmer gesehen.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 593 f.