DAS PAIRKREUZL

Auf dem Weg von Sand in Taufers nach Rein, eine Viertelstunde von Sand entfernt, ist ein freundliches Fichtenwäldchen mit etlichen recht alten Stämmen. Gegen Ausgang dieses Wäldchens, in der Nähe des Bauernhofes Unterhaslach, steht unterhalb eines großmächtigen Steines ein schlichtes, halbverwittertes Holzkreuzlein, bei dem es geistert.

Ein alter Mair in der Aue ging einmal spätabends von Sand her auf seinen Hof zu. Wie er zum Pairkreuzl kommt, steht ein großer Hund vor dem Kreuze, so groß wie ein mittleres Bauernroß. Und der Hund geht "neben seiner" her, bis er zum obern Kreuz gelangt, und erst vor diesem bleibt das Tier stehen. Dem alten Mair versetzte es einen "Schüttler", und er geriet in solche Furcht, daß er noch in seiner Stube lange kein Wort herausbrachte.

Ein anderesmal ging einer beim Pairkreuzl vorüber, es war auch schon abends nach dem Betläuten, da sitzt eine menschliche Gestalt von seltsamem Aussehen ober dem Kreuz auf dem Stein, hebt beide Hände vor das Gesicht und weint. Diese Gestalt sollen schon mehrere gesehen haben.

Ein Bäuerlein hatte einen "Teggen" (Schaden) an der Hand, der ihn sehr schmerzte. Er machte sich daher auf den Weg zum Doktor und mußte zwischen elf und zwölf in der Nacht beim Pairkreuzl vorbeigehen. Auf einmal sieht er den Wald brennen, es war ein großes Feuer, und die "Gahnen" (Funken) flogen durch die Baumkronen her zum Kreuz und drehen sich ober demselben rauschend und brausend im Kreis herum. Der Bauer bekam das Gruseln, daß er die Schmerzen an der Hand ganz vergaß und wieder heimlief. Der "Teggen" war auch wie fortgezaubert und die Hand gesund.

Zwei Geschwister gingen eines Abends spät da beim Kreuz vorbei und sahen auf dem großen Stein zwei Menschen ohne Kopf sitzen. Sie schauten die Gestalten scharf an, sahen aber nirgends deren Köpfe. Keines von beiden hat es gewagt, die Geister anzureden. Oft, erzählt man auch, sei des Nachts, wenn da Leute vorbeigingen, das Pairkreuz nicht an seiner gewöhnlichen Stelle, sondern mitten auf dem Weg gestanden.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 586 f.