DER THURNTHALER URBAN

Ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Marktflecken Innichen und Sillian, drückt sich Winnebach an die nördliche Berglehne. War da ein gar böser Mensch, der seine Seele dem Teufel verschrieben hatte und dafür in die Geheimnisse der Zauberei eingeweiht wurde, die er denn auch mit teuflischer Schadenfreude sich zunutze machte. Er hauste an den felsigen Ufern des Thurnthaler Sees, eines dunklen, unheimlichen Gewässers auf den Höhen der Winnebacher Alm. Schlug er mit seinem Stock in den See, so zogen alsogleich schwarze Wolken ringsum auf, Blitze zuckten durch die Luft, und furchtbar rollte der Donner durch Berg und Tal. Der Thurnthaler Urban aber setzte sich bei solchem Wetterbrausen mit seiner "Urschl" auf eine große hölzerne Schüssel; voran saß der "Bease" (Teufel); auf diesem Fahrzeug ging's durch die Luft.

Eines Tages begab er sich in das Tal herab, um zu betteln. Da ihn aber die Leute überaus fürchteten, klopfte er überall vergebens an die Tür und mußte ohne Gabe abziehen. Darüber war er fürchterlich erzürnt. Unter gräßlichen Flüchen holte er einen Pickel, stieg zu den Ufern des Thurnthaler Sees empor und fing an, die Wände desselben zu durchbrechen. Ein Hirtenknabe, der ihn bei diesem unheilvollen Unternehmen beobachtete, lief schnell in das Tal hinunter nach Sillian und schlug Lärm. Da eilte nun jung und alt in die Kirche zu inbrünstigem Gebete. Das höchste Gut wurde zur Anbetung ausgesetzt, und alles zog in feierlicher Prozession durch den Markt, wie sonst am Fronleichnamsfeste, wobei der Geistliche die Wettersegen hielt.

Schon war der Thurnthaler Urban mit seiner Arbeit fast zu Ende - noch ein einziger Hieb, und die gewaltigen Wassermassen wären aus ihren Ufern getreten und hätten weiß Gott welch furchtbare Verheerungen angerichtet. Doch da hob der Priester die Monstranze zum letzten Segen, und der Zauberer droben stürzte in demselben Augenblick unter einem weithin schallenden Fluch in die schwarze Flut. Seither sah man ihn nirgends mehr; wenn aber ein Gewitter heranzieht, fangen die Wasser an zu brodeln und zu tosen, daß man es auf der gegenüberliegenden Gebirgskette, dem Helm, ganz deutlich vernehmen kann.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 672 - 674