VOM FROMMEN REINER WEIBELE

Vor 1693 hatten die Reiner keinen Seelsorger und mußten nach Taufers heraus in die Kirche gehen, gewiß kein kleiner Weg.

Da lebte in Rein auch ein steinaltes Weiblein, das die Füße nimmer recht tragen wollten. Weil aber das Weiblein überaus fromm war, wollte es vom Gottesdienst nicht zurückbleiben und humpelte halt auch sonn- und festtags durch den Reiner Wald auswärts.

Einmal zu kalter Winterszeit war das Weibele auch wieder auf dem Wege nach Taufers. Es lag aber der Schnee so tief, daß es gar nicht vorwärts kommen konnte. Nun fürchtete es, den Gottesdienst in Taufers zu versäumen, und trug doch ein so großes Verlangen danach: "Ach", dachte es, "könnte ich nur noch ein Stück vom Amt erwischen!"

Wie es nun so beim Mitterstöckl, zehn Minuten von der Pfarrkirche entfernt, herabkeucht, hat es schon längst zur Wandlung geläutet; aber siehe da, der Geistliche am Altar konnte nicht aufwandeln, über alles nicht, bis endlich das Mütterle zur Kirchtür "hereingezaspet" kam; dann ging's. So belohnte Gott den Eifer des Reiner Mütterchens.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 570