Das Goldbergwerk hinter dem Rittner Horn

Vom Rittner Horn steigt man jenseits in eine sumpfige Fläche hinab, genannt „af Seawa“. Bevor du die Moorfläche betrittst, kommst du an einer Kapelle vorbei, „afn Toadtn" genannt. Hinter dem „Toadtn" erblickst du ein stehendes Gewässer von mäßigem Umfang.

Es stand hier oben in uralten Zeiten, inmitten alten Nadelholzes versteckt, ein Goldbergwerk im Betriebe, das überaus ergiebig war, und noch jetzt findest du da und dort verlassene Knappenlöcher. Eines ist gar groß und der Eingang überwölbt; vom Loche heraus rinnt ein bläuliches Wässerlein.

Fortzu taten sich neue Erzgänge auf, und selbst des gediegenen Goldes brachen hin und wieder gewaltige Stücke los. Woher die Knappen ins Land gekommen, ist hier oben nicht mehr bekannt. Dieselben hatten sich aber eine ganze Bergstadt aufgebaut mit zahlreichen Firsten, das eine Haus schöner als das andere; du findest noch die Spuren davon. Da ward Tag und Nacht gehämmert, gebohrt und geschmiedet, dass man es weit den Berg hinab hören konnte. Die Knappschaft war bald zu großem Reichtum gelangt und wurde darob über die Maßen stolz und übermütig. Das altfränkische Lodenröcklein war ihnen zu schlecht geworden, und sie kleideten sich in Samt und Seide und trieben auch in Stube, Küche und Keller sündliche Pracht. Ja, sie stellten sich auf offenem Wiesenplan Tische und Stühle von eitel Gold auf, machten sich goldene Kugeln und schoben damit nach goldenen Kegeln. Den Gottesdienst besuchten sie dafür nimmer, und die Kirche blieb leer. Das Kegelspiel aber gab so hellen Klang, dass der römische Landpfleger zu Waidbruck, ein gar frommer Herr, davon hörte. Dem war das Bergwerk auf „Seawa" zu eigen, und er kam alsbald heraufgeritten, um zu sehen, wie das Tagewerk oben vor sich gehe, und kam gerade recht.

Wie er das böse Treiben seiner Knappen sah, wurde er zornig und strafte die Knappschaft ob des Frevels mit hartem Schelten und drohte, dass sie seiner lange gedenken würden, so sie von ihrem Übermute nicht abstünden. Hierauf ritt er wieder nach Waidbruck hinab. Es unterblieb nun das frevelhafte Spiel, und das Schürfen und Schmieden hub wieder an. Über eine Zeit aber taten die verstockten Bergleute sündhaft wie vorher. Sie stellten aber die Kegel nimmer im Freien auf, sondern machten den Stollen zur Kegelbahn. Als nun Spiel und Schall wieder anhub und ihre Ausgelassenheit sich immer mehrte, da fuhr einmal ein Sturmwind über den Berg, und ein schweres Gewitter brach los mit Blitz und Donner und Hagel. Es geschah ein Erdbruch, der ganze Stollen ward verschüttet und begrub die Frevler unter den Trümmern.

An Stelle des Bergwerks aber sammelte sich tiefes Wasser an und rann bis auf heute nimmer ab.

Ein Bäuerlein aus Gismann ist vor Jahren beim Wasser vorbeigegangen, da haben Tische und Stühle und Kugeln und Kegel von lauter Gold heraufgeglänzt, dass es eine rechte Lust war. Die goldenen Kugeln aber, das Bäuerlein sah es ganz deutlich, waren von solcher Größe, dass damit eine gewöhnliche Menschenhand nimmer zu scheiben vermöchte.

Weil aber der Landpfleger von Waidbruck allzu milde gewesen ist und das ausgelassene Knappenvolk nicht zum Tempel hinausgejagt hat, muss er allnächtlich auf einem feuerschnaubenden Schimmel übers Horn herüber und die „Schien" abwärts reiten samt seinem Reitergefolge. Schon viele haben ihn gesehen, und die Leute behaupten, es wäre ein riesengroßer Mensch mit ellenlangem struppigen Bart, und er sehe gar zornig und finster drein. Hie und da sprengt er in sausendem Galopp oben über, dass die „Gähnen“ weit hinausstieben.

Die sündigen Knappen aber müssen alljährlich am Vorabend des hohen Frauentages, wie auch am Festtag selber das goldene Kegelspiel aus dem Grunde des Wassers heraufholen und oben so lange kegeln, bis die Sonne untergegangen ist.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 269