Laurins Rosengarten.

Der Frühling war wieder ins Ennstal gezogen und hatte die Wiesen und Felder um die Burg von Steier zum Grünen gebracht. Da rasselte die Zugbrücke nieder und eine Schar von Mädchen stürmte den Hügel herab. Hintendrein trabten zwei Knechte. Der eine blies ab und zu auf einer Sackpfeife, der andere strich die Fiedel.

"Jupaldeiha, jupaldeih!
Sei willkommen, grüner Mai!"

So ging der Mädchen Sang und auf dem Anger vor der Stadt sprangen sie den Reigen hin und wieder. Allen voran schritt ein rosenwangig Kind mit blonden Haaren, die wehten im Lenzwinde. Es war Künhilde, Herrn Biterolfs von Steier minnereizendes Töchterlein. Ein blauseiden Röcklein umhüllte ihre schlanke Gestalt und ein Kränzlein aus Blumen umschlang ihre Stirne. Die tollte und sprang die grüne Aue hinauf und hinunter und hinter ihr hüpfte singend und jauchzend die übermütige Schar ihrer Mägde.
Jetzt blieben die beiden letzten im Zuge stehen und reichten sich die Hände. Die andern kehrten um und sangen:


"Bald prangt in Lenzesblumenflor
Nun Aue, Hag und Wiese,
Den Riegel auf, erschließt das Tor -
Herr Roland kommt, der Riese."


Dann kroch der Zug unter den hocherhobenen Armen der beiden Pförtnerinnen hindurch und Künhilde tänzelte als letzte lachend und neckend hintendrein. Sie sollte gefangen werden. Schon neigte sie ihr lockig Haupt, um in ihr Gefängnis zu schlüpfen, als sie sich im letzten Augenblick mit jähem Ruck losriß und hinüber zur Linde flog am Ende der Wiese.

"Ein Veiel", rief sie und bückte sich.

Die Mädchen lösten ihren Zug auf und schossen ebenfalls auf die Linde zu. Da zwang es sie, mitten im Laufe plötzlich einzuhalten, denn Künhilde war vor ihren sehenden Augen verschwunden.

Es war ihnen, als hätten sie einen Angstschrei ihrer jungen Herrin gehört und dann ein Rufen: "Dietmut - Schwanhild - Ortrun" - so hießen die Mägde, die schon ganz nahe bei der Linde standen - und dann ein Weinen - Hufschläge jetzt - und endlich klang es noch ganz deutlich von der Straße, die nach Kastenreit führt, herunter auf die Wiese: "Dietleibbruder, hilf, Dietleib!"

Erschreckt standen die Mägde da, mit klopfenden Herzen, und wußten nicht, wie sie das deuten sollten, was soeben vor ihnen geschehen war.

Dann rief Getrud die braune: "Laßt uns den Plan räumen, es möchte uns noch Schlimmeres begegnen."

Da war es ihnen erst klar, daß das Wahrheit sei, was sie gesehen hatten und nicht glauben wollten. Weinend und klagend, sich scheu ineinander drängend und manchen angstvollen Blick hinunter zur Linde sendend, so liefen sie den Burgpfad hinauf.

Die Knechte aber nahmen Geige und Dudelsack vom Boden auf, die waren ihnen im Schrecken entfallen; dann eilten auch sie, so schnell sie konnten, in die schirmende Burg zurück.

Eine kurze Weile später sprengte ein junger Ritter die Burg herab, den Helm am Haupte, das Schwert an der Seite, sonst trug er kein Gewaffen. Es war der starke Dietleib, Künhildens Bruder. Und bald nach ihm sah man Herrn Biterolf, den greisen Necken, auf seinem Streitroß zu Tale traben und hinter ihm ritten viel glänzende Ritter und reisige Knechte. Die alle forschten nach der lieblichen Jungfrau, doch konnten sie Künhilden nicht finden, so sehr sie auch spähten in Busch und Hag und so weit sie auch ritten nach Norden und Süden.

So war eine Woche verronnen. Niemand hatte des Maien acht, der von Tag zu Tag neue Wunder schuf auf Feldern und Wiesen. Mit rotgeweinten Augen saß Frau Dietlinde am Söller, und traf ihr Blick den Lindenbaum am Wiesenrand, so füllten sich ihre Augen neuerdings mit Tränen. Neben ihr saß Herr Biterolf, ihr Gemahl, und ließ den Wein in der Kanne versauern und strich sich zornig den weißen Bart. Wo war Künhilde, die ihm sonst neckend und lachend die Kanne gereicht, die ihm bald ein goldenes Ringlein in den Bart geflochten, bald ein grünes Kränzlein um seine Schläfen gelegt und mit hundert Scherzen und hundert Streichen seines Alters Qual gewesen und seiner Tage Glück?

Dietleib nahte, der junge, kühne Held, im lichten Scheine seiner Waffen.

"Gebt mir Urlaub, lieber Vater, lebt wohl, gute Mutter! Ich will gen Bern (Verona) zum Helden Dietrich reiten und nach Garten am See (Gardasee) zum alten Hildebrand. Vielleicht weiß von denen einer Rat und Hilfe in unserer Not, denn vieles ist ihnen bekannt."

Manch lieben, langen Tag ritt Dietleib mit trübem Mut über Berg und Tal, durch Wald und Heide, durch die steirische Mark hinunter nach Italien. Nicht achtete er der farbigen Blumenpracht im Klee und hörte nicht auf der Vöglein frohes Singen in den Zweigen, er dachte nur Künhildens Not und seiner Ohnmacht, ihr zu helfen.

Ihn hatte sie gerufen, er sollte sie retten. Doch gegen wen sollte er streiten, wem sie entreißen? Wo mochte die Liebliche jetzt weinen und seufzen - - -

"Sag mir, Mönchlein, welchem Kloster bist du entlaufen?"

Ein alter Ritter stand vor ihm und dröhnendes Lachen scholl an sein Ohr.

Da erwachte Dietleib aus seinen Träumen. Der Spott des greisen Recken hatte ihn getroffen wie ein giftiger Pfeil und schwärte in der Wunde. Die Schmährede jagte ihm das Blut ins Gesicht, in hellem Zorne flammten seine Augen. Hastig rüstete er sich zum Kampfe, stülpte den Helm auf sein Haupt und legte die Lanze ein. Ein Mönchlein war er geheißen worden. Solcher Schmach wollte sich der Sohn des kühnen Biterolf in blutigem Streite erwehren.

"Ich will dich segnen, Alter," rief er grimmig, "und mein Segen soll der letzte sein vor deiner Fahrt ins himmlische "Reich."

"Sag mir lieber, wer hat dir Gewalt gegeben, Segen zu spenden mit unheiligem Stabe? Ich bin mir gesegnet genug. Nenn mir den Abt, dessen Zucht du entlaufen, du junger Träuminsland!"

"Das will ich dir sagen", schrie Dietleib aufs höchste erzürnt, daß der Alte das Spotten noch immer nicht lassen wollte und keine Miene machte, seinem Ansturm zu begegnen. "Der mich segnen lehrte und höhnende Unholde bannen, heißt Biterolf."

"Ist das der fromme Abt zu Steier, so kenne ich seinen Segen, junger Held. Ich kannte auch einen - der hieß Dietleib - einen wilden Knaben, der oft auf meinen Knien geritten und manches Haar aus meinem Bart gerauft."

"Den kenne ich auch und kenne ihn besser als du."

"Hat dir Biterolf der alte niemals von seinem Heergesellen erzählt, von dem, der drei goldene Wölfe führt auf blauem Felde?"

Dietleibs Blick fiel auf den Schild des Mannes vor ihm. Darin sprangen drei goldene Wölfe auf blauer Aue.

"Hildebrand?"

"Ich bin's. Wie lebt dein Vater auf seiner Burg zu Steier? Was drückt dich, junger Recke, daß du sinnenden Hauptes die Lande durchfährst wie ein heiliger Mönch?"

Da reichte Dietleib dem alten Waffenmeister freudig die Rechte und empfing Umarmung und Kuß. Dann erzählte er Hildebrand von Künhildens Verschwinden und von der Eltern Sorge.

Ernst wurde der Alte, dann nahm er das Wort.

"Siegfried ist tot, der wohlgemute Held aus Niederland. Und lebte er noch, der kühne Degen, um ein Mägdlein zu rauben aus seiner Eltern Hut, hiezu wäre der Balmungschwinger niemals in seine Tarnkappe geschlüpft. -
So muß es Laurin sein, der König der Zwerge.
Wann sagtest du, verschwand Künhilde?"

"Drei Tage vor dem Neumond."

"Dann kenne ich den Entführer. Es mag um den letzten Vollmond gewesen sein, da bin ich mit meinen Mannen gen Mitternacht gezogen in die Wildnis Tirol und hetzte Bären auf einem Berg, der heißt Nones. Dort traf ich auf einer breiten Heide einen wilden Mann. Den ritt ich an und stach ihn vom Pferde. Schon wollte ich die Riemen um seine Hände binden, da bat mich der Wilde:

,Held, schone mein. Ich bin ein armer Waldmann, der dir niemals ein Leid getan hat. Laß mich des Weges ziehen friedlich und ungesäumt, ich muß zu einem Hoffest reiten. Laurin, der kleine König, hat sich ein bräutlich Weib geholt. Da dürfen wir nicht fehlen, die wir ihm dienstbar sind, die Kleinen und die Großen.'

Und ich spottete sein:

Laß den Kleinen rufen, großer Wann, so lange er mag. Was kümmert dich die Zwergenhochzeit?

,Du kennst ihn nicht,' sprach aber der Waldmann, ,Laurin ist stark, daß er wohl hundert Streiter bestehen könnte. Wir alle dienen ihm im Tann Tirol und fürchten seinen Zorn und hoffen seine Gnade.


Ein Gärtlein hat er geziert und gepflegt,
Drin prangen die duftendsten Nosen,
Mit seidenem Faden ist es umhegt,
Dort will er nun küssen und kosen.
Verschlossen sind die Pforten von Gold,
Und wer den Faden zerreißen wollt,
Dem saget der Kleine gar übeln Gruß,
Die rechte Hand und den linken Fuß
Muß er zum Pfande ihm geben - -'


Das kann nicht mit rechten Dingen geschehen, meinte ich.

,O, seine Tarnhaut ist wohl ein rechtes Ding,' eiferte der läppische Waldmann, ,schlüpft der König in diesen Mantel, so sieht ihn kein menschliches Auge. Auch trägt Laurin einen Gürtel, der gibt ihm Zwölfmännerstärke, und einen Ring------------'

Ei, rief ich, vor solch eines Königs Ungnade will ich dich behüten. Grüß mir den König Fausthoch und die Königin Daumenlang und verbeug dich ja nicht zu wenig vor den kleinen Hoheiten. Und wenn's mich einmal am Beine zwickt, so weiß ich, wer mich bedräut. Dann kämpft König Laurin gegen mich in der Tarnkappe, zwölfmännerstark.

Mit solchen Worten ließ ich den Waldmann laufen. Nun aber weiß ich, was damals für eine Hochzeit gehalten wurde."

"Ich will den Zwerg bestehen," rief Dietleib in jäher Wut, "und wäre er doppelt so stark. Ihm soll weder Tarnkappe helfen noch Ring."

"Gemach, junger Recke", sprach Hildebrand wieder. "Ein wenig Vorsicht hat noch niemals geschadet. Ist er wirklich so stark wie ein Dutzend, so tut sich einer gegen ihn recht schwer und es tun sich zwei nicht leicht, da könnten wir beide sieglos werden und Schande erwerben statt Ehren und Ruhm. Nun laß uns nach Bern reiten zu Dietrich dem starken; gewinnen wir den für unsere Bergreise, so mag sich noch alles zum Guten wenden."

Schon saß Dietleib der frische acht Tage lang an des Berners Reckentafel. Er hatte sich im Kampfspiel als wackeren Kämpen bewährt, hatte auf der Jagd erwiesen, daß er den Spieß so gut zu führen verstehe, wie er die Streitaxt schwang und das Schwert. Allen war er lieb, der fröhliche Held, den sie schon als den Sohn eines erprobten Streiters herzlich willkommen geheißen hatten in ihrer Runde. Auch an der Metbank und vor den Weinkannen stellte er seinen Mann und wußte von kühner Gesellen Fahrten zu erzählen und von manchem wildblutigen Strauß.

Heute sprach man vom stärksten Mann der Welt und stritt im hellen Eifer, wem aller Ehren Krone zu verleihen sei.

Da rief Witege, des Helden Wieland guter Sohn:

"Wo hat unser Dietrich seinesgleichen? Wer hat größere Dinge getan als der Berner? Ihn soll man vor allen Männern preisen."

Hildebrand legte sich in seinen Stuhl zurück und strich mürrisch den Bart.

"Ein Abenteuer ist ihm doch noch unbekannt geblieben; den Kampf mit den Zwergen im hohlen Berg, den hat er bisher gemieden. Wer dieses Abenteuer bestehen will, der kommt in Angst und Not, die kleinen Raufer erschlagen so manchen. Ja, hätte er auch im Streite mit den Zwergen Ehre gewonnen und Sieg, so wollte ich ihn wohl preisen vor allen Männern."

Da schrie Herr Dietrich in lichtem Zorn, denn er war unvermerkt in den Saal getreten und hatte seines Waffenmeisters Rede vernommen:

"Was schweigst du mir bis zur Stunde von diesem Abenteuer, Alter? Ist es ein Ruhm, Zwerglein zu schlachten, so will ich ihn gewinnen."

Und Hildebrand tat, als hätte er nicht gewußt, daß sein Herr nach so hohen Ehren sinne, und erzählte von Laurin, dem kleinen König, und seinem "Rosengarten...


Verschlossen sind die Pforten von Gold,
Und wer den Faden zerreißen wollt,
Dem saget der Kleine gar übeln Gruß,
Die rechte Hand und den linken Fuß
Muß er zum Pfande ihm geben...


Dietrich sprach: "Die Rosen muß ich sehen, und käme ich auch in große Not."

Jetzt war das Eisen in feuerroter Glut, und der alte Waffenmeister riß es aus der lohenden Esse, schwang's auf den Amboß und begann zu hämmern und zu schmieden.

Er erzählte von Dietleibs zehrender Sorge um seine Schwester Künhilde und sprach von seiner eigenen Vermutung, daß eben dieser König Laurin sich Biterolfs wonniges Töchterlein vom Reigentanz auf grüner Aue geholt und als widerstrebende Braut in die einsamen Berge geschleppt habe.

Dietrich sprang auf und schrie:

"Wer reitet mit mir in die Wildnis Tirol?"

Alle baten sie den starken Herrn, er möge sie mitnehmen auf das seltsame Abenteuer. Doch der Berner wählte nur vier: Hildebrand den alten und Dietleib den jungen, den grimmen Wolfhart und Witege den Degen.

Ausritten die Helden zur Pirsch und trabten wohlgemut die Etsch hinauf drei lange, heiße Tage. Allgemach versperrte ihnen ein klotziger Berg das Wandern gegen Norden. Die Helden standen auf einer ausgedehnten, üppigen Flur.

In weitem Kranze umstellten gewaltige Bergesriesen wie treue Wächter den wonnigen Talboden, fern gegen Abend hin strömte die Etsch in ruhigeren, sanfteren Wogen die schattigen Hügelzüge entlang nach Süden, vom Morgen her jagten und schäumten mit lautschallendem Tosen eiskalte Wellen und auch von Mitternacht trieb ihnen ein rauschender Fluß, die Talfer, rotsandige Fluten entgegen. Ein Anger von blühenden Reben war dieses Land, und ein Gefühl der Heimseligkeit schlich durch die Herzen der Helden. Italiens Pracht, die Wonne der Landschaft von Bern schien hier vor ihren Blicken ausgebreitet. Verklärter noch als Bern und reizender als Garten am See lag dieses Traumland inmitten seiner schroffsten Gegensätze, der dunklen Bergwälder und trotzigen Purpurfelsen, im Abendsonnenschein.

Als dann die Sonne, zum drittenmal seit der Helden Ausfahrt von Bern, zu Gnaden ging und hinter die hohe Mauer der langgestreckten Mendel hinabsank, da sahen Dietrich und seine Gesellen von Osten her den Rosengarten Laurins in roter Feuerglut auflohen. Freudig schlug ihr Herz. Ein wildes, ungestümes Sehnen erfüllte sie. Sie spornten ihre Rosse und sprengten in gestrecktem Laufe dem flammenden Wunder zu, als müßten sie es noch heute erreichen.

Da schien die Glut allmählich zu erlöschen, langsam und zögernd griffen kalte Schatten von unten herauf in das heitere Spiel der Farben, immer höher stieg der düstere Schleier, und endlich starrte ihnen der Garten unheimlich kalt und drohend entgegen.

Noch einmal flammte dann auf kurze Augenblicke ein schwacher Abglanz der früheren Pracht empor, dann war es wieder und für immer öde und kalt.

Die Rosse hatten das Laufen längst wieder aufgegeben und schritten müde und verdrossen die Straße entlang. Müde und stumm saßen auch die fünf Helden im Sattel, jeder in seine Gedanken verstrickt, die doch wieder bei allen ganz dieselben waren. Die Recken dachten noch immer des lichtprangenden Gartens, den sie wie im Traume aus weiter Ferne her blühen und leuchten gesehen hatten.

Plötzlich drohte ihnen ein großmächtiger Riese mit knorriger Keule. Der war an die Wand des Hauses vor ihnen gemalt und war so groß, daß seine Füße neben dem Haustore standen und sein Haupt unter dem Dache hervorsah. Es war eine Herberge.

"Heute beim Riesen und morgen beim Zwerg", sprach Dietrich und stieg aus dem Sattel.

Bald saßen die Helden in der schwach erhellten Herberge und labten sich an dem wohligen Trank, der ihnen in mächtigen Kannen gereicht wurde.

"Potz Tausend, ihr Herren," sprach der Wirt, "ihr trinkt mir ja die Fässer leer und trocken. Das heiße ich einen grimmigen Durst, Potz Wetter!"

Er fing jedwede Rede mit "Potz Marter" oder "Potz Himmel" an und schloß sie mit "Potz Wunder" oder "Potz Gnade". Deshalb hieß man ihn auch nur den Potz und seine Fluren die Potzengüter (Bozen).

"Potz Segen", meinte er, als er vernommen, was der Berner und seine Gesellen im Schilde führten. "Da holte ich mir lieber die Sterne vom Himmel als die Rosen aus Laurins Garten. Da seid ihr auf übler Fahrt, ihr Herren! Potz Leichnam!"

Doch die von Bern schonten weder den Potzenwein, noch kehrten sie sich an die Warnung ihres Wirtes. Wäre der Wein nicht so gut und die Nacht nicht so dunkel gewesen, sie wären gleich wieder fortgezogen nach Laurins Rosenwundergarten.

Am kommenden Tage in kühlwehender Frühe ritten sie den rauschenden, lärmenden Eisackwogen entgegen bis zu einem Hofe, den nannte man Gordun. Die Eisackwellen in der Tiefe verkündeten ihnen in entsetzten Worten und in schreckenbebender Rede wilde Kämpfe und blutigen Streit und warnten, drohten, flehten und weinten, mahnten zur Umkehr und heulten Verderben und Tod.

Doch in grauen Morgenträumen lag der Rosengarten vor ihnen, und hinter schützenden Wänden und ragenden Türmen funkelte das junge, neugeborene Gold der aufgehenden Sonne.

Hier, beim Hofe Gordun (Kardaun), verließen die Helden das Tal und erklommen die steile Höhe, zogen am heutigen Schlosse Karneid vorbei, hinauf zum alten Gumber, der dort oben die Felder bebaute mit zahlreicher Sippe. Der wies ihnen den Weg und hieß sie nun wieder hinuntersteigen.

Und sie schritten hinab und kamen in die Gegend, in der sich heute die Fluren und Gebreite von Welschnoven ausdehnen und schmucke Häuser stehen. Manch steilen Pfad zogen die Recken, über blumige Wiese und durch schattendunkeln Tann. An einem blaugrünen Wundersee kamen sie vorüber, der träumerisch und schweigsam zu ihren Füßen leuchtete (Karersee). Düstere Waldung umkränzte den dunkel funkelnden Zauberspiegel, zu Stein erstarrte Weltenflammen loderten über den Kronen der Waldbäume empor. Fast konnten sich der Berner und seine Gesellen nicht mehr trennen von diesem traumumhauchten Wunderort, bis Hildebrand mit ernster Stimme mahnte und sprach:

"Fort von hier! Mit diesem Zauber möchte uns Laurin von seinem Rosengarten bannen. Rosen zu brechen sind wir ausgezogen, wollt ihr nun Fische fangen in diesem Teich?"

Einen mächtigen Felsblock schleuderte er weit hinein in die wonnesame Ruhe des Märchensees, daß seine grünen Fluten hoch aufschäumten, daß die schmeichelnden Nixen erschreckt in die Tiefe tauchten und der geheimnisvolle Zauber brach.

Ins Moartal kamen die Helden, an friedlichen, einsamen Almenwiesen vorbei, wo jetzt im Sommer das rege Leben und laute Treiben von Hunderten von Fremden herrscht.

Bald war die Paßhöhe erreicht. Neue Berge. neue Täler, neue Welten lagern in blauer Ferne.

Der Berner reitet mit den Seinen die Höhen linker Hand empor. Ganz anders bot sich damals der Rosengartenstock dem Auge des Beschauers dar. Wo heute armselige Steige vom Backofen gegen die Teufelswand hinüber geleiten, unter der ungeheuren Rotwand und am Wajolonkopf vorbei zur Tscheinerspitze und Koronelle, führten in jenen Tagen noch prächtige Straßen und wonnesame Luftwege. Wo uns heute Geröll und Geklüft, Steinlammern und spärlicher Graswuchs ermüden, blühten damals in weitem Umkreise duftende Blumenauen. Die prächtige, breite Heeresstraße, die, unter Laurins Königsherrschaft gebaut, den ganzen Rosengartenzug entlang führte, ist heute noch von Bozen aus in ihren Trümmerresten als heller Streif von der Koronelle herüber bis zu den Türmen von Wajolet gut und deutlich zu erkennen.

Auf dieser Straße trabten die wohlgemuten Necken ihrem abenteuerlichen Ziele entgegen. Wo jetzt der Bergsteiger in mühsamer Kletterei von der Kölnerhütte über Schrofen und Schutthalden, durch enge Kamine und über pralle Felsen zum Santnerpaß emporklimmt, ritten die fünf Kämpen einen fröhlichen Schlangenpfad dahin. -

Bald kamen sie auf einen grünen Anger und standen vor einem Garten, drin blühten wundersame Rosen und gaben lieblichen Geruch und hellen Schein. Nur ein güldener Faden umschloß das wonnige Gehege und Pforten ragten empor aus glänzendem Gold und funkelnden Steinen.

Wie staunten die Helden ob der seltenen Pracht; nur Witege sprang gar bald vom Pferde, zerriß den Goldfaden und mähte die lichten Rosen mit seinem breiten Schwerts. Seine plumpen Eisenschuhe traten auf die blühenden Sträucher, Zweiglein um Zweiglein stampfte er auf den Plan. Gegen die güldenen Pforten sprang er an, daß sie wankten und stürzten...

Da hetzte auf rehfarbem Rößlein ein kleiner Reiter heran, ein seidenes Fähnlein flatterte von seinem goldumwundenen Speere. Gold war sein Harnisch, Gold seines Pferdleins Zaum, Gold die Bügel, auf denen er stand, aus Gold sein Helm, draus glänzten Rubinen und Karfunkel. Die dunkelste Nacht wäre vor dem lichten Schein seiner Waffen zum hellen Tage geworden, es leuchtete der Hag ringsum von dem Glänze des schimmernden Schildes. Drin sprang ein Leopard mit blitzenden Augen.

Von weitem schon schrie der winzige Held mit grimmer Stimme: "Ihr Sünder und Affen! Wer hieß euch hier absteigen, wer riet euch eure Klepper auf meinem Anger zur Weide zu führen? Warum habt ihr mir die Rosen verschändet, ihr Waldbauern und Esel? Nun nehme ich von euch schwere Buße. Abhauen will ich jedem von euch den linken Fuß und die rechte Hand."

Dietrich begütigte: "Nein, nein, du kleiner Mann. Du sollst Fürsten nicht pfänden bei Fuß und Hand. Kommt die Maienzeit wieder und die Sommerwonne, so erblühen dir neue Rosen in Fülle. Indes - von meinem Gold und Silber will ich dir geben, daß du dein Trauern lassest und deinen Zorn."

"Gold und Silber", schrie Laurin, "habe ich dreimal mehr als du. Fürsten wollt ihr sein und habt hier gewütet wie borstiges Wild. Was habe ich euch getan, daß ihr mir den Garten niedergetreten und die Pforten gefällt? Warum habt ihr mir nicht den Frieden aufgesagt, wenn es euch zum Streite mit mir gelüstet? Das wäre adelig gehandelt gewesen. Nun aber sollt ihr mir den Frevel büßen. Roß, Harnisch und Kleid, den linken Fuß und die rechte Hand müßt ihr mir für eure Missetat lassen."

Auch Witege stieg nun der Zorn. "Wie lange soll uns der kleine Übermut noch drohen?" fragte er Dietrich. "Ich will ihn bei einem Beine fassen und an die Wand schlagen."

Und als Dietrich den Kampf noch immer nicht gestatten wollte und als der alte Hildebrand meinte: "Sei kühn, doch nicht zu kühn! Wenn der Kleine nicht wüßte, daß er mannhaft ist, so würde er nicht so hochfärtig mit uns sprechen", da kannte Witeges Verdruß bald keine Grenzen mehr.

"Ihr werdet bald keine Maus mehr erschrecken mit eurem Heldentum", höhnte er gegen seine Gesellen. "Reitet das Ding da ein Roß wie eine Geiß und prahlt wie ein Riese. Und wenn ich zwölf solcher Männlein bestehen müßte, ich finge sie alle und hinge sie an die Bäume."

Laurin aber lud ihn ein, seine Kühnheit und Stärke im Kampfe zu erhärten. Ohne auf den Stegreif zu treten, sprang Witege in den Sattel und wie zwei Falken stoben sie aufeinander los, der Große und der Kleine. Witege verfehlte sein winziges Ziel, Laurin aber traf den Gegner mit mächtigem Stoß und stach ihn nieder in den Klee.

Dann saß das Königlein ab und wollte sein Pfand nehmen, den linken Fuß und die rechte Hand.

Doch so weit ließ es der Berner nicht kommen, er sprang vor und streckte sein Schwert über den gefällten Mann und rief: "Nein, kleiner Laurin, das brächte mir Schande, sollte meinem Gesellen so übel von dir geschehen."

"Was kümmert mich deine Schande", zischte der Zwerg. "Mein Pfand will ich haben von diesem und von euch allen."

Jetzt schien es auch Dietrich an der Zeit zu sein, das Roß zu besteigen und mit dem Kleinen einen Stab zu brechen. Er fing sein Roß am Zaum und faßte seinen Speer, doch Hildebrand riet ihm, zu Fuß gegen Laurin zu kämpfen.

"Schlag ihm den Schwertknauf an die Ohren, daß ihm Hören und Sehen vergeht, nur so kannst du seiner Herr werden."

Dietrich tat, wie ihm der Waffenmeister riet, stellte sich zu Fuß dem kleinen König und betäubte ihn mit manchem guten Schlag. Hildebrand und die beiden anderen aber brachten Witege in Sicherheit.

Auf einmal war Laurin vor aller Augen verschwunden, doch auf Dietrichs Rüstung erklang Streich um Streich, von unsichtbarer Hand geschlagen. Bald floß des Berners Blut aus vielen Wunden. Da erkannten sie alle des Zwerges Tücke und ahnten, daß Laurin in seine Tarnkappe geschlüpft sein müsse. Daher riet Hildebrand seinem bedrängten Herrn, der nicht wußte, wohin er sein gutes Schwert schwingen solle, bald gegen eine Felswand hieb, bald in die leere Luft; der nicht wußte, wohin er seinen Schild zücken solle, und Schlag auf Schlag empfing, er möge seiner Waffen entraten und den Unsichtbaren im Ringkampfe bestehen.

Laurin ging eilends darauf ein, doch untersprang er Dietrich und riß ihn so kräftig an den Knien, daß der Riese in den Klee fiel.

Die Schande tat dem Helden weh und er ergrimmte so sehr, daß ihm das Feuer aus dem Munde lohte. Des freuten sich seine Gesellen, denn das war das Zeichen, daß Dietrich jetzt seine ganze Kraft einsetzen werde. Sobald ihm einmal im Kampfe die Feuerflammen aus dem Munde brachen, war der Berner stets in Kürze sieghaft gewesen. Drum rief ihm der Waffenmeister zu:

"Nun brich seinen Gürtel; nur von dem ist er so stark, dann wird sich das Blatt bald wenden."

Und wirklich gelang es Dietrich, den Gürtel Laurins zu greifen. Er riß das Zwerglein hoch in die Luft empor und wirbelte es rundum im Kreise. Dabei entfiel Laurin auch die Tarnkappe und er war wieder sichtbar, soviel man das Männlein eben sehen konnte, das in raschem Fluge um Dietrichs Haupt sauste. Dann schleuderte der grimmige Recke den Kleinen zu Boden, daß der Gürtel zerriß und auf das Land fiel. Schnell war Hildebrand zur Stelle und raffte Tarnhaut und Gürtel auf.

Zwerg Laurin war seiner Zwölfmännerstärke beraubt, stöhnte im Grase und flehte Dietrich um sein Leben. Alle seine Habe wollte er dafür geben. Der Berner aber wollte von Güte nichts wissen und Laurin hätte seinen letzten Tag gesehen, wenn sich das Zwerglein jetzt nicht an Dietleib gewendet, diesen als Schwager angesprochen und um seine Fürbitte ersucht hätte.

So wurde sich Dietleib erst bewußt, daß ohne Laurin die Schwester vielleicht gar nicht zu finden wäre. Er bat den Berner, das Leben des Kleinen zu schonen, bis er diesem gewichtige Fragen gestellt und lang begehrte Kunde erhalten habe. Doch des Berners Zorn war noch viel zu groß, als daß er Bitten vernommen hätte. Er wollte dem Zwerge nicht Gnade gewähren und ihm sein Leben nicht länger vergönnen.

So kam es denn zu einem wütenden Schwerterkampf zwischen Dietrich und Dietleib. Gar wohl hielt sich der junge Steirer vor dem gewaltigen Recken, das wird ihm noch lange zur Ehre bleiben. Erst als sich Hildebrand, Witege und Wolfhart zwischen die Streitenden warfen und mahnten und drohten, kam ein Friede zustande.

"Wohlan, so sage mir, wo meine Schwester weilt, die traute Künhilde", begann Dietleib den kleinen König zu fragen.

Und Laurin erzählte, wie er die Vielholde vor der Burg von Steier an ihrer weißen Hand ergriffen, ihr ein hehlendes Käpplein aufgesetzt und sie vor sein Rößlein geschwungen habe.

"Nun gebietet sie im hohlen Berg über Tausende von Zwergen, alle sind ihr Untertan. Weinrotes Gold, meine funkelnden Steine, meiner weiten Reiche unendliche Pracht gehören ihr und eine Krone, schimmernder als alle Herrscherreifen der Welt, die soll sie tragen. Doch sie weint noch immer und will nicht Königin werden, wo ich ein König bin. Meine Liebe ist ihr nicht mehr als eine Wolke im Wind. Umsonst sind meine Getreuen aus nah und fern zum Hochzeitsfeste gekommen, sie will mich nicht zu ihrem Manne und hat mir bis heute Kuß geweigert und Umarmung."

Da freute sich Dietleib in seinem Herzen und sprach: "Laß mich die Schwester sehen. Vielleicht ändert sie den Sinn."

Auch der Berner gewährte auf Dietleibs Bitte und auf seines Waffenmeisters Fürsprache dem Königlein den Frieden und sie schwuren sich Gesellschaft, Mann für Mann, in Freude und Not.

Laurin der kleine sprach sodann: "Da wir nun gute Gesellen sind, so sollt ihr all die Freuden genießen, die mir selber bereitet sind. Kommt mit mir in den hohlen Berg, dort dienen mir viele Zwerge. Manche Kurzweil soll euch werden, Gesang und Saitenspiel sollet ihr hören. Ein Fahr wird euch dort kürzer als ein Tag."

Da auch Hildebrand riet, der Einladung des Königleins Folge zu leisten, verscheuchten die Recken ihre Sorgen, ob es Laurin wohl auch ehrlich mit ihnen meine. Nur Witege war die Reise leid, er folgte unwillig den andern.

So zogen sie durch den Rosengarten, an einem kühlen Brunnen vorbei, der lag tief im Grunde. (Heute speist sein Wasser den kleinen See in der tiefsten Mulde des Gartls, jenes weithin sichtbaren Schneefeldes unter der Rosengartenspitze.) Jetzt betraten sie einen wonniglichen Plan. Dort stand eine grüne Linde. Vögelein sangen in blauer Luft und zahmes Gewild lief hin und wieder. Hochragende Türme in schimmernder Pracht (die von Wajolet) schirmten den herrlichen Plan vor rauheren Winden. Am heutigen Laurinpaß standen die Helden, weit trug sie der Blick hinunter ins Tal, in das leuchtende Land, das glänzte vom Abend zum Morgen.

Dietrich sprach: "Wie ist mir leicht und wohl, ein Ende hat meine Schwere."

Doch Witege raunte: "Ich traue ihm nicht, dem Kleinen. Wer weiß, was dieser Berg uns alles verhüllt."

Laurin aber besaß gar feine Ohren. Er hatte Witeges Rede vernommen, so leise sie auch geflüstert war.

"Seid ohne Sorgen," sprach er, "liebe Gesellen. Ich meine es gut. Genießet in Freuden, was euch hier schon umgibt. Im Berge drinnen sollt ihr freilich noch Schöneres sehen und lieblicheren Stimmen auflauschen. Doch auch dieser Plan ist nicht zu verachten. Wird es uns im Berge zu eng und klein und sehnen wir uns nach frischeren Lüften, so treten wir gerne auch einmal heraus, umkränzen uns Haar und Stirnen und springen den Reigen auf diesem Plan."

Da ward Wolfhart unwillig über Witeges Bangen und redete ihn hart an.

"So bleibe du außen, wenn du dich fürchtest. Wir wollen hinein."

"Das soll nimmer geschehen", antwortete ihm Witege trotzig und schritt als erster gegen den Berg. Auch die anderen wandten sich lachend gegen das Tor.

Laurin zog nun an einer silbernen Schelle, weithin tönte der helle Klang und hallte vielmals wider von den hohen Türmen. Alsbald öffnete sich die güldene Pforte, ein Licht wie der junge Tag brach hervor und leuchtete durch den Wald.

Zwölf Jungfräulein, gar minnig und zart, trippelten auf die Helden zu und begrüßten sie sittsam. Da verließ die guten Recken jeglicher Kummer und ohne alle Beschwernis folgten sie in den Berg. Als sich das Tor aber wiederum geschlossen hatte, da konnten sie von innen nimmer sehen, wo sie hereingekommen waren. Witege stieß den alten Waffenmeister ganz leise in die Seite, furchte die Stirne und blickte düster gegen die unheimliche Wand.

Sie standen erst in einer funkelnden Halle, aus der traten sie nun in einen weiten Saal. Schimmernde Säulen aus lauterem Gold, mit Karfunkelsteinen besetzt, trugen ein himmelhohes Gewölbe. Daran glänzte ein Licht wie die Sonne, ein silberner Mond und glitzernde Sterne verbreiteten milden Schein.

Ein Zwerglein blies nun in ein Horn, ein lauter, jubelnder Ton zerriß die feierliche Stille des schimmernden Saales. Aus weiter Ferne nahte ein Heereszug von Zwergen, Reihe um Reihe, Mann an Mann. Voran schritten vier Spielleutchen, die schlugen güldene Harfen, sodann kamen acht wohlsingende Männlein, die sangen höfische Lieder, daß es laut in dem Berge erhallte. Dann schwenkten Reihen von Männlein auf, die tanzten, und blinkende Glieder von kleinen Reiterlein. Den Helden lachte das Herz im Leibe, wie zierlich sich die winzigen Krieger bewegten.

Da sprach der Vogt von Bern: "Diese Kurzweil gefällt mir wohl, der Berg ist voll von Freuden."

Als der Zug bei Dietrich angelangt war, begrüßten ihn die Sänger mit jubelnden Weisen. Inzwischen hatten die Zwerge einen großen Kreis gebildet, der starrte von winzigen Lanzen. In diese Runde traten nun kleine Kämpfer, schossen den Ger, warfen den Stein und liefen wie Wiesel zum Ziele. Dann stachen die auf den Rößlein nach einem güldenen Ring, der hing von einem mannhohen Galgen, ritten zu zweit manch guten Tjost und brachen im Buhurd die Speere, ein Geschwader gegen das andere.

Noch waren diese Spiele nicht beendet, da nahte von einem andern Ende des Saales die schöne Künhilde mit einer Schar von Zwergenfräulein. So schmuck gekleidet gingen noch niemals Mädchen zu Hofe. Aus allerfeinster Seide waren ihre Röcklein gewirkt und köstliches Geschmeide trugen sie an Hals und Armen.

Künhilde begrüßte den Fürsten Dietrich in höfischen Sitten und nickte auch den andern Degen huldreich zu. Als sie aber ihren Bruder Dietleib ersah, da flog sie auf ihn zu und achtete nicht mehr des höfischen Brauches. Sie schlug .ihre weißen Arme um seinen Hals, küßte ihn und drückte ihn an ihre Brust. Die Tränen stürzten ihr über die lichten Wangen, als sie ihn nach Vater und Mutter fragte und nach ihren Gespielinnen und Mägden auf der Burg zu Steier.

Sie erzählte ihm, wie sie in all der Pracht ein traurig Leben führe und sich in Sehnsucht verzehre nach ihren Blutsfreunden.

"Der kleine Binkel soll mich niemals freien. Schau nur, wie er uns anglotzt, der garstige Zwerg! Seiner Liebe bleibe ich ewig unfroh und will mir die Augen blind weinen, wenn du mich nicht von bannen führst, Bruder. Nur einmal im Tage, des Morgens, muß ich lachen, wenn König Kleinwinzig in meine Kemenate tritt und mir Liebe schwört. Ich schwöre ihm Haß. Fort will ich aus dem hohlen Berg! Hörst du, Dietleib? Fort will ich von dem kleinen König! Er soll um mich weinen, soviel er mag."

Das gelobte ihr Dietleib mit leisem Händedruck.

Nun hieß Laurin die Gäste an die Tische treten und ihr Streitgewand ablegen. Ohne Arglist taten die Helden, was ihnen geheißen war. Kämmerer brachten dafür reiche Gewandung. Die Gäste setzten sich dann auf die mit roter Seide überzogenen Bänke zu den kunstvoll gearbeiteten Tischen. Die waren von köstlichen Speisen und von duftenden Weinen schwer. Man tafelte und schmauste nach Herzenslust.

Ein Heer von putzigen Zwergen diente ihnen, so daß es den Helden nie wohler war auf dieser Erde. Aus süßen Kehlen scholl fröhlicher Gesang, die Spielleutchen schlugen wieder ihre Harfen und noch viele andere hatten sich zu ihnen gesellt mit Lauten und Geigen, klingenden Hörnern und schmeichelnden Flöten.

Als man die Tische wegräumte, da ging das Singen und Klingen erst recht los, das Saitenschlagen und Märensagen, daß es untereinander hallte und in dem Berge erklang.

Das Königlein erhob sich und geleitete Künhilde artig aus dem Saale. Er führte sie an der Hand wie ein Kindlein, das seine Amme geleitet. Gar würdevoll stelzte das winzige Fürstlein daher, doch Künhilde drehte sich nach der anderen Seite zu ihrem Bruder Dietleib hin und rümpfte die Nase. Dann machte sie ein paar größere Schritte, so daß ihr das Königlein kaum folgen konnte, so weit es auch die Beinchen dehnte. Es schmunzelten Dietrich und seine Gesellen.

Laurin geleitete die Jungfrau in ihre Kemenate. Dort erzählte er ihr, daß die Necken seinen Garten erbrochen und die Rosen und die Pforten in den Plan getreten hätten.

"Ich hätte wohl Rache genommen, wenn mir der Vogt von Bern nicht den Zaubergürtel zerrissen hätte. So brachte er mich um meine Kraft. Ich fürchte gar sehr," fuhr er fort, "daß sie mir noch immer übel wollen. Auch deinem Bruder Dietleib sind sie gram, er hat für mich gegen Dietrich gestritten. Laß deinen Bruder zu dir kommen, daß wir ihn warnen."

Künhilde schickte sogleich ihren Kammerherrn zu Dietleib, Laurin aber warb wieder um die Liebe des Mägdleins.

Er ergriff die Hand Künhildens und bedeckte sie mit heißen Küssen. Vergebens suchte die Jungfrau dem Königlein ihre Hand zu entwinden und spreizte vor Ekel über des Zwerges Liebkosungen die Finger weit voneinander.

Flugs streifte ihr da Laurin einen Ring ab. den er ihr früher zum Geschenke gegeben. Der Ring verlieh Zwölfmännerkraft, den brauchte er nun, da ihm der Zaubergürtel entrissen war.

Dann verließ Laurin das Gemach. Alsbald kam ihm Dietleib entgegen, und das Königlein führte den frischen Helden in ein schönes Gemach.

"Viellieber Trautschwager mein, du sollst dich deiner Gesellen nicht annehmen", begann er zu ihm zu sprechen. "Es geht ihnen an das Leben. Dir aber will ich um deiner Schwester willen gnädig sein. Dir will ich vergelten, daß du für mich den Kampf nicht gescheut hast gegen den grimmigen Berner. Wein Silber und Gold, meine reichen Schätze will ich mit dir teilen; doch vergiß, daß du ihr Geselle geworden bist, ich habe es auch vergessen."

Davon wollte jedoch der brave Dietleib nichts hören. "Eher will ich mein Leben verlieren. Was ihnen geschieht, geschehe auch mir. Deiner Huld will ich wohl entraten."

Laurin eilte zur Türe, wie eine Maus der Katze entflieht.

"So mußt du hier verschlossen bleiben," höhnte er zwischen die Türspalte hindurch, "bis dein .Sinn sich wendet,"

Dann verschloß er das Gemach und eilte zu Dietrich und seinen Genossen.

"Geschwister haben sich viel zu erzählen", so entschuldigte er das Fernbleiben des Steirers. "Wir wollen inzwischen einen guten Trunk tun." Met ließ er bringen und Wein und stellte sich, als trinke er den vieren zu. Er hütete sich, aber, wirklich von dem Tranke zu genießen, denn es war betäubendes Gift hineingemischt worden.

Dietrich erzählte soeben von seinen Kämpfen am Etzelhof, da blieb ihm das Wort im Wunde stecken, die Augen fielen ihm zu und er sank wie leblos in seinen Stuhl zurück. Den wackeren Hildebrand überraschte der Schlaf, als er den halbgeleerten Becher wieder zu Tische stellen wollte. So stürzte der Becher zu Boden und der rote Wein befleckte den Boden, aber auch der Alte taumelte schweren Falles auf den Estrich nieder. Auch Witege und Wolfhart übermannte gar bald ein tiefer Schlummer, sie lagen kraftlos und ohne Besinnung auf den Bänken. Schnell schnürte ihnen der arge Zwerg Hände und Füße zusammen und ließ sie von seinen 'Getreuen durch den gewölbten Berg tragen und in einen tiefen Kerker werfen.

Ein getreues Zwerglein aber brachte Künhilden von dem allen Kunde, von ihres Bruders, Haft und von der Not der vier Berner Helden,

Drum schlich die Schwester, als der Morgen graute, zum schönen Gemache, in dem Dietleih gefangen lag, und öffnete den Riegel. Sie erzählte ihm, was sie von Laurin wußte und was ihr das getreue Zwerglein berichtet hatte. So erkannte Dietleib die ganze Tücke des Zwergenkönigs und widersagte ihm und allen seinen Scharen.

Die Schwester hing ihm ein schmiegsames Kettlein um den Hals, das hatte sie einstens von Laurin empfangen. Dies Geschmeide besaß besondere Kraft. Wer es trug, dem konnten die grimmigsten Streiche nicht schaden, keine Wunde öffnete sich an seinem Leibe, und wäre er auch nackt unter die Feinde gesprungen.

Auch half ihm Künhilde nach den Waffen suchen, die er und seine Gesellen vor dem Mahle abgelegt hatten. Er rüstete sich und freute sich der wiedergefundenen Wehre. Die "Rüstungen der andern aber schleppte er zu dem tiefen Kerker, den wies ihm die Schwester. Er warf die Harnische und Schwerter, die Helme und Schilde hinunter, daß es laut erhallte, als sie in das Gewölbe fielen. Ein Handschuh flog dem alten Waffenmeister an die Nase, Hildebrand fuhr aus dem Schlafe und weckte mit seinen Flüchen und Zornreden die andern.

Mit Staunen und Befremden fühlten sie die Bande an Händen und Füßen und besannen sich erst allmählich, was ihnen widerfahren wäre. Da überkam Dietrich sein Glutenzorn. Ein Feuerdampf ging ihm vom Munde und verbrannte seine Bande. Noch war er aber nicht frei, denn eine eiserne Kette mit armgroßen Ringen lag um seine Füße. Er zerschlug sie wie ein Ei und zerriß die Ringe in seinem großen Wüten, hastend befreite er auch seine Gesellen. Im Kerker tappten sie umher, fanden ihre Waffen und rüsteten sich. Dann suchten sie aus dem finstern Gewölbe zu entrinnen. Das Gemach war aber gar nicht finster, sondern auf ihnen lag noch die Zauberwirkung des Trankes, den ihnen der treulose Laurin zugenippt. Nur davon waren sie blind und wähnten deshalb in einem dunkeln Grabe zu sein.

Wieder war es der weise Waffenmeister, dessen Rat ihnen zum Heile war. Er fand bei sich Laurins Gürtelchen, das er gestern zu sich gesteckt hatte, und bat den Berner, sich damit zu umgürten und mit der übermenschlichen Kraft die von dem Gürtel ausging, die Pforte zu brechen. Dietrich umgürtete sich und fühlte sich jetzt nicht nur unmäßig stark, sondern Laurins Schwertgurt hatte auch noch andern Zauber in sich - der Gifttaumel wich und Dietrich sah wieder; sah seine Gesellen, die mit stieren Augen dahin und dorthin blickten, auch sah er das feste, eiserne Tor, das ihnen den Ausgang wehrte. Ein Sprung gegen die Flügel der Pforte, und Dietrich führte seine Getreuen aus dem Gewölbe.

Doch von dem donnernden Hall, der Dietrich und die Seinen aus dem Zauberschlaf geweckt hatte, war auch Laurin erwacht. Er merkte bald, was da geschah, und stieß zornmütig in ein Heerhorn. Da regte es sich von allen Seiten, ein Klingen ertönte von den vielen Panzerringen. Tausende von Zwerglein in funkelnden Waffen kamen gesprungen, ganze Ströme von Gewappneten wälzten sich heran.

Dietleib zückte Walsung, sein Schwert, und lachte der Tausende und Abertausende, die ihn .bedrohten. Treu verwahrte er den Zugang zu dem Gewölbe und schlug den Zwergen tiefe Wunden. Auch gegen Laurin drang er vor, doch konnte er dem nicht schaden, wie auch ihm keiner von den vielen eine Wunde zu schlagen vermochte. So gut schützte ihn das Kettlein, das ihm Künhilde gegeben.

Immer wütender drangen die Zwergenheere gegen den gewölbten Kerker vor, immer zorniger ertönten Laurins Zurufe an das kleine Heldenvolk. Endlich mochten es ihrer wohl an die zwanzig Tausende sein, die auf Dietleib eindrangen und ihn vom Gewölbe wegtreiben wollten. Er aber wehrte ihnen den Zutritt und schlug gar manches Dutzend von ihnen zu Tode.

Indessen war Dietrich mit den Seinen aus dem Kerker frei geworden. Er sah, wie die Zwerge dem frischen Helden aus Steier zusetzten, sah, daß sein Harnisch vom Blute ganz rot war, und hielt es an der Zeit, ihm seine Hilfe zu bringen. Zuvor ermahnte er die Blinden, bei dem Gewölbe zu bleiben, damit ihnen kein Schaden geschehe. So sprang er jauchzend in den Kampf und stürzte auf Laurin los. Wohl schlug der Kleine manch guten Schwerterschlag, wohl hieb er dem Vogt von Bern einen Streich, daß der Schildriemen zerriß, doch Dietrich streckte den falschen Zwerg mit einem grimmigen Schlag zu Boden.

Dietleib rief ihm zu, er möge den Zwerg des Ringes berauben; der leihe ihm die große Kraft.

"Dein Waffenmeister wird sich dieses Geschmeides baß erfreuen."

So tat Dietrich, wie leid es Laurin war, um den Ring zu kommen, und nun stritt auch Hildebrand gegen die Zwerge, drei gegen viele Tausende.

Es war die höchste Not, denn mittlerweile war ein Zwerglein aus dem hohlen Berg geschlüpft, und hatte draußen auf dem Plan ein lautes Horn geblasen. Das hörten fünf Riesen im Walde, der starke Titsch auf dem Stadlegg, der wilde Grimm auf seinem Joch, Egge im Tal, der starke Latimar und der grobe Tschager. Die säumten nicht lange. Mit stählernen Stangen kamen sie gelaufen und drangen wütend in den Berg, vom Zwerglein belehrt, was sich an diesem Morgen in Laurins Saale begeben.

Auch die vielen Zwerge, die sich früher versteckt hatten, als ihnen Dietrich, Hildebrand und Dietleib das Leben so sauer machten, gewannen wieder Wut und krochen aus ihren Schlupfwinkeln. Mit den Riesen stürmten sie gegen die drei Helden los.

Doch auch Künhilde war nicht müßig gewesen. Sie hatte noch zwei Ringlein gefunden, deren Kraft den Gifttaumel zu vertreiben und die Helden sehend zu machen imstande war. Freudig dankten ihr Witege und Wolfhart, als sie ihnen die Ringe an die Finger stieß, dann sprangen die beiden Helden in den Saal. Nun mußten es die Zwerge entgelten, daß Witege und Wolfhart so lange Rast gehalten, und auch den trotzigen Riesen erging es übel.

Jeder der fünf Gesellen nahm einen Riesen auf sich, und nicht lange ertosten die guten Schwerter an den stählernen Stangen, bald lagen die Riesen tot in ihrem Blute. Nun dachte auch kein Zwerglein mehr an weiteren Kampf. Die nicht erschlagen waren im weiten Saal, verhuschten und entschwanden. Den kleinen König aber fing Dietrich und wollte ihm das Leben rauben. Doch Künhilde bat für ihn und auch Hildebrand riet zur Gnade, So ließ ihn der Berner leben.

Auf vielen Wagen führten sie den Goldschatz fort und die köstlichen Steine. Auch Laurin mußte mit ihnen ziehen, schwere Ketten an Hand und Fuß. Er sollte dem Berner daheim als Gaukler dienen mit Sprüngen und Scherzen.

Mit Jubel waren sie zu Bern empfangen, mit Freudenspiel und Kurzweil vergingen die zwei Wochen, die Dietleib und Künhilde noch am Hofe Dietrichs verweilten. Dann rüsteten auch sie zur Reise nach Steier.

Wie herzten Biterolf und Frau Dietlinde ihr wiedergefundenes Töchterlein, wie lauschten sie der seltsamen Märe vom Kampfe im hohlen Berg mit Riesen und Zwergen, von Laurins Untreue und Gefangenschaft.

So lebten sie wieder in Glück und Freuden, bis ein Biedermann, der schmucke Rüdebert, des treuen Helden Rüdeger Sohn, Künhilde abermals aus der Burg zu Steier entführte. Dem folgte sie aber gerne in sein festes Schloß bei den Bechelaren an der Donau, denn es war ein stattlicher Recke. Biterolf und Dietleib geleiteten das Paar bis zur breiten Linde, wo Künhilde schon einmal entschwunden war. Frau Dietlinde aber winkte der scheidenden Tochter vom Söller zu und wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen.

Den Zugang zu Laurins hohlem Berg hat seitdem niemand mehr gefunden. Zerstört blieb der Garten, verwüstet der wonnige Plan, kein Zwerglein ist mehr zu erspähen in Höhlen und Klüften. Wohl ragen die Türme von Wajolet noch immer hoch in die Lüfte, doch von ihrer Pracht ist wenig mehr geblieben.

Nur abends erstrahlt der verödete Garten noch oft in rosigem Zauberlichte. Dann möchtest du schwören, das verbannte Königlein sei heimgekehrt und habe neue Rosen gepflanzt und seinen Garten wieder bestellt. Doch ist das alles nur ein Schimmer der einstigen Schönheit - wie jenes selige Gefühl, dort oben auf luftiger Höh zu sitzen - am Laurinpaß, wie wir heute den Ort nennen, wo sich einstens der herrliche Plan erdehnte - nur mehr ein leiser Nachklang ist von jener Freude, die einstens dort oben zu finden war.

Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 5 - 41.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.