Das Lichtlein von Tiers.

"Höllteufel!" fluchte der Patzliner und rieb sich die Stirne, denn er war an einen Baumast gerannt. Dann bückte er sich und tappte nach seinem Hut umher, der war ihm nämlich vom Kopfe gefallen.

"Wenn's in der Höll a so finster ist, dann brauchen die Teufel gute Augen."

So sprach er, die letzten Worte zwar ziemlich leise, denn er erschrak selber über diesen Abweg, auf den seine Gedanken plötzlich geraten waren. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen und es ist auch nicht angezeigt, in finsterer Nacht und auf einsamen Wegen von Hölle und Teufel zu reden. Der Bauer griff nach seinem Rosenkranz.

Er war in Bozen gewesen auf dem Samstagmarkt, der Patzliner, hatte die Eier, die ihm die Bäuerin mitgegeben, und das Hafele mit Schmalz gut verkauft. Aber der Weg ist weit und es gibt viele Wirtshäuser vom "Weißen Kreuz" in der Stadt bis zur "Krone" in Tiers und der Weg ist weit und Durst hat man auch. So war es spät geworden und die Nacht war stockfinster.

Noch immer glitt die "Bet" [Rosenkranz] durch seine Finger. Der Patzliner wollte sich die Hilfe des Himmels sichern, denn zu den Mühseligkeiten des Weges und der Nacht hatte sich noch etwas recht Unangenehmes gesellt - die Furcht. Der Bauer fürchtete sich vor der Nacht. Der kalte Angstschweiß perlte ihm von der Stirne herunter, und da sonst nichts, aber schon rein gar nichts zu sehen war, da zeigte dem Patzliner die Furcht die sonderbarsten Bilder. Er sah sich schon als Leiche unten im Bache liegen, er schloss die Augen und sah am Wegrand ein Marterl stehen - die Füße gegen den Himmel, den Kopf nach unten sauste ein Mensch zwischen einer Menge von Fichten, die ihre giftiggrünen Äste voller Entsetzen auseinanderspreizten, in die Tiefe. Wer der Mensch eigentlich war, das konnte der Bauer freilich nicht erkennen, denn man erkennt ja kaum seinen eigenen Bruder, wenn der am Kopf steht, aber der Stürzende hatte ein Gewand an wie der Patzlinerbauer zu St. Cyprian, wenn er Sonntags in die Kirche oder Samstags in die Stadt geht, und unter dem Gemälde war zu lesen:

"Hier hat sich der Patzlinerpaur derfallen,
Betez fier in ein Par grallen,
Daß Ewige Liecht leicht ihm."

Entsetzt schritt der Bauer aus und betete:

"Herr, gib ihm die ewige Ruh und das ewige Licht - ahhh! -"Wahrhaftig und Gott! Da drüben, wo der Weg in den Wald einbiegt, glänzte ein kleines Licht. Der Bauer ließ Stock und "Zegger" fallen und lief ein Stück zurück. Aber auch den Rosenkranz hatte er in feinem Schrecken ausgelassen, und diese geweihte Waffe gegen jeden Spuk und jegliche Anfechtung des bösen Feindes musste er wieder haben. So schlich er nach einiger Zeit wieder vor und nahm seine Sachen vom Boden auf. Das Lichtlein war verschwunden. Der Bauer wagte sich deshalb ein paar Schritte in den Wald hinein.

"Heiliger Vater!" Da war ja das Licht schon wieder. Aber es glänzte ganz ruhig und schwebte noch weiter Waldeinwerts, immer den Weg entlang leuchtend. Und wenn der Bauer allzu langsam ging oder gar wieder einmal stehen blieb, so stand das Lichtlein auch oder kam sogar ein Stück auf den Bauern zu - gerade wie eins, das eine Laterne vorträgt und umgekehrt, wenn es glaubt, dass, es dem, dem es zu zünden hat, zu schnell gegangen ist.

So ging der Bauer denn - freilich langsam und zaghaft - dem Lichtlein nach und kam glücklich aus dem Walde und kam wohlbehalten über die Wiese zu seinem Hofe, immer hinter dem Lichtlein her. Und wie er um den Scheiterhaufen biegt, ist das Lichtlein auf einmal verschwunden, just, als ob es zwischen die Scheiter hineingeschlüpft wäre.

Da wird der Bauer schon wieder angst und bange und er schaut, dass er ins Haus hineinkommt, und verriegelt die Türe.

"Kimmst endlich nach Haus, du Lump, du alter? Du Saufaus, du damischer, du Rabenbratl. du schlechter Schelm, du Wirtshausbruder, du Aff, du gepelzter, du alter Lump!"

"Jaz bische stille, Alte!"

Doch die fing ihr Lied von vorne an und sang noch lange, bis der Bauer ihren Gesang mit seinem Schnarchbass zu begleiten begann. Da verstummte die erste Geige allmählich und der Bauer spielte sein wehmütiges Abendschlummerlied allein.

Am nächsten Samstag ging die Bäuerin selber in die Stadt.

"Damit dear Loter nöt wieder in die Versuachung fallt und um oans af Nacht hoamkimp. Sell kannt i nöt haben!"

So zog dieser Samstag für den Bauern ohne Versuchung und ohne Niederlage vorüber, doch am Sonntag nach der Litanei fiel der Patzliner dem "Löwen" in den Nachen, und dieses Untier hielt ihn fest, nicht gerade so lange, wie lange der Walfisch den Jonas gefangen hielt, aber es war halt schon wieder finster, als der Bauer heimwertstorkelte.

"Segen, ob mir heint wieder sell Liechtl leichtet!"

Heute fürchtete er sich nicht, heute hing ihm der Himmel voller Geigen; was braucht es da noch Sterne und Mond? Und der Teufel, der umhergeht wie ein brüllender Löwe, suchend, wen er verschlingen soll, der hatte ihn ja schon verschluckt gehabt und wieder ausgeworfen.

"Na, na, den Löwenteifel, den Teifelslöwen fürcht i nöt, dear sollt mir lei kemmen. Grad schad ist's, daß sie schun g'sperrt haben im "Löwen", a Viertele hätt mir no guet getan bei dem Durst."

Und wirklich, wie er zum Walde kommt, wartet auch schon das Lichtlein auf ihn. Nur eines? Heute sieht er sogar doppelt.

"Hi, hi, hi! Heint gib is fein nobel.
Die heiligen drei Kinig mit ihmernen Stearn,
Dö essen und trinken und zohlen nöt gearn.

Grad oan Stearn haben sie g'habt, dö armen Hascher, drei Kinig und oan Stearn!
And ih, der Patzliner von Tiersch, han für mi alloan schun ihrer zwoa."

Und wie sorgsam die Lichter vor dem Bauern den Weg beleuchten! Viel heller scheinen sie als letztes Mal.

"Ja, ja, doppelt genahnt, seil hebb viel besser, und wenn dir doppelt geleichtet wird, nacher sigsch besser! A alte G'schicht!"

Der Bauer stapft selig durch den Wald.

"Teixl no amol, ist dös a Beleichtigung! Jaz war i bald in dö Lacken getreten. Da geahts hear, ös Malefizliechter, ös windigen, nöt olleweil a Meile weit voraus!

So ist's recht, jaz sig i a niade Wurzel. So will is haben!

Gradaus leichten, ös Irrwisch, nöt olleweil hin und hear faggeln! Ös woggelts ja, als wenn's zuviel g'soffen hättets. Was saufts denn ös, wenn ös Durst habts, Bamöl oder Pitrolium?

So, warum geahts denn iaz? So laß i mir's g'fallen!

Ah, was ist denn dös iaz wieder für an Ung'stalt", mit offenem Munde lugte er nach vorne und kniff dabei das linke Auge zu, um deutlicher sehen zu können.

"Was war denn dös iaz af oanmol! Wo ist denn iaz dös andere Liechtl hinkemmen? Dös möcht i wissen!

Ah, da bist, du Sakrafunsen, du elendige!"

Hierbei spritzte er mit dem Stiefel aus einer Pfütze auf die beiden Lichtlein hin, dass diese ängstlich zitternd ein Stück nach vorne schnellten.

"No amol sollt oans von enk zwoa probieren dervunzelafen! Schian leichten iaz, sunst wear i enk göben!

Zu kalt ist mir, wärmts mi a bißl!"

Doch wie sehr er sich auch bemühte, eines davon zu haschen, es gelang ihm nicht. Dabei flog er ein um das andere Mal zu Boden und fluchte von neuem.

Über die Wiese huschten die Lichter gar eilig hin, dass ihnen der Bauer kaum folgen konnte - und hast mich nicht gesehen, so siehst mich nicht wieder - hinter dem Scheiterhaufen verschwanden sie.

"Geahts außer, ös Teifelsampeln! Daß ös mir no mei Holz unschürts! Außer geahts, sog i!"

Da öffnete sich ein Fenster.

"Was schreist denn so, du Narr? Weckst mir ja die Dienstboten auf. Schämst di denn gar nöt?"

"Außer müassen sie!"

"Laß sie schlafen die Knecht, wer wird denn iaz schun die Leit aufwöcken?"

"Außer! Außer!"

"Wenn iaz no nö still bist, du Bsuff, nacher kimm i außer. Einer geahst iaz in die Hütten, sunst kimm i."

Ja, wenn der Patzliner zuviel getrunken hatte, da war das Lichtlein nicht zu beneiden - denn gewöhnlich war es nur eines. Nur wenn er doppelt geladen hatte, da brauchte er auch doppelte Beleuchtung.

Aber trotz der schlechten Behandlung hat ihn in jeder Nacht, so der Mond nicht schien oder wenn der Himmel umzogen war, auch bei Schnee und Regen, in Sturm und Wind, das Lichtlein getreulich nach Hause geführt. Durch fünf Jahre hindurch, das hat der Patzliner selber erzählt, ist das so geschehen.
Einmal saß er halt wieder in der "Krone" und schien auf das Heimgehen ganz vergessen zu haben. Die Nacht war pechschwarz, es goss in Strömen, und als der Bauer endlich aufbrach, da zeigte es sich, dass er lange nicht so sicher stand, als er früher steif und fest hinter dem Tisch gesessen war.

"Patzliner, heint brauchst aber woll a Latearn?" meinte die Kronenwirtin.

"Hab mi gearn", sagte der Bauer.

"Sell war zuviel verlangt. Zum Gearnhaben bist du amol nöt gemacht. Aber a Latearn gib i dir mit, wenn sie magst und wenn sie mir wiederbringst - damit nöt fällst und deine Bäurin nöt zur Wittib wird. Heint ist's ja ganz schröcklich finster."

Aber der Patzliner lachte und sagte: "Brauchts nöt, Wirtin, i find schun nach Haus, drüben beim Wald wartet ja mein Liechtl af mi."

"So, so, a Liechtl sigst du schun? Na, dann wird's woll a nimmer lang dauern, Patzliner, bis du a die weißen Mäus tanzen sigst."

"In dö Hütten geah i no amol einer", brummte der Bauer und wankte hinaus.

Richtig, wie er zum Wald kommt, ist auch schon sein Lichtlein dort und schwebt vor ihm her. Der Bauer tappt ihm nach und freut sich, wie hell das Lichtlein brennt trotz des strömenden Regens und dass er so gut sieht bei jedem Schritt und Tritt.

Wie sie dann zum Patzlinerhof kommen, verschwindet das Lichtlein, wie es immer verschwunden ist, wenn es den Bauern nach Hause gebracht hatte.

Und jetzt hätte der Bauer auch tun sollen, was er immer getan hat: ins Haus hätte er gehen sollen und sich nicht weiter um das Lichtlein kümmern Aber er war damals so voller Stolz auf seinen treuen Heimbegleiter und ganz gerührt über die Opferwilligkeit und den Diensteifer des Lichtleins, dass er sich nicht halten konnte. Den Scheiterhaufen hat er umarmt und zwischen die Scheiter durch hineingeflüstert:

"Vergelt´s dir Gott, mein Liechtl, daß du mi heint wieder so schön nach Haus begleitet hast. Bei der Finsternis hätt i mi schön derstoßen und derfallen. Vergelts´s dir Gott! Gelt ja!"

Kaum war er aber mit seiner Dankrede zu Ende da erhielt er auf einmal von unsichtbarer Hand eine schallende Ohrfeige.

Mit dem ,Vergelt´s Gott' hast eine arme Seel erlöst", belehrte ihn später der Pfarrer.

"Und die Watschen?"

"Das wird halt der Lohn sein für die üble Behandlung, die du dem Armen-Seelen-Liechtl die fünf Jahre hindurch hast angedeihen lassen, eine Strafe für dein Saufen...

Da drehte sich der Bauer um, nahm Weihbrunn und ging. Die Ohrfeige hätte er übrigens schon noch verschmerzt, dass aber das Lichtlein in jener Nacht an nimmer auf ihn gewartet hat, das hat ihn bis zu seiner letzten Stund gewurmt, den alten Patzliner.

Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 106-114.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.