DER SCHLANGENMANN UND DER WEIßE WURM

Im Eggental schlichen vor dem im Bereich der ausgedehnten Waldungen in Moorgründen und zwischen Felstürmen, wo das Wasser durch finstere Schluchten herniederbraust, überaus viele Schlangen umher. Oben aber auf der Alm hauste ein mächtig großer weißer Wurm. Der besaß ein weites Gebiet, Sumpf, Moor, Felsen und Geklüfte zu eigen, und zahlreiches Gewürm der abenteuerlichsten Gestalten war ihm untertänig.

Da kam eines Tages ein Schlangenmann ins Tal, der alles Gewürm zu bannen verstand, nur nicht den weißen. Die Leute waren froh und nahmen den Mann in ihren Sold, auf daß er die Würmer vernichte und sie des Ungeziefers ledig würden. Er versprach, es zu tun. Nur fragte er vorher: "Ist auch ein weißer Wurm da?" "Nein", antworteten die Leute, denn sie glaubten, sonst werde er sich übers Gewürm nicht getrauen.

Also ging er an die Arbeit. Er türmte einen gewaltigen Scheiterhaufen auf und zündete ihn an. Darauf tat er einen Wispler, und sogleich krochen die Schlangen alle herbei, groß und klein, und stürzten sich ins Feuer, daß sie prasselnd verbrannten. Das Feuer zischte jedesmal hoch auf, sooft ein Wurm darin war.

Der Banner wispelte jetzt ein zweitesmal, aber stärker als vorher, daß auch das Gewürm von der Höhe herabkäme. Auf einmal tut es von der Alm hernieder einen unheimlichen, markdurchdringenden Wispler als Antwort auf sein Pfeifen, und der Mann wird schreckensbleich und ruft. "Jetzt bin ich verloren! Das ist der weiße Wurm!" Er war diesmal selber festgebannt und konnte keinen Schritt von der Stelle tun, bis der weiße Wurm kam. In einigen Augenblicken schoß dieser heran und auf den Banner los. Der unterlag und mußte nun selber ins Feuer hinein, wo er gräßlich verbrannte. Der weiße Wurm ringelte sich aber wieder von dannen und kehrte auf die Alm zurück.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 378