Vom Pulverer.

Einer von den vielen Zauberern, die in früherer Zeit in der Gegend lebten und wenigen nützten, vielen aber schadeten, war der Pulver-Peter.

Wo der eigentlich seine Behausung hatte, ist heute schwer zu sagen, man hat es schon damals nicht recht gewusst. Von Brixen bis Bozen hat er die Dörfer auf der Dolomitenseite heimgesucht. Bald tauchte er in Gröden auf, bald in Kastelruth, in Völs und Seis war er gut bekannt, auch in Tiers und Welschnoven ließ er sich wiederholt blicken.

Er konnte sich nämlich verblendet machen, das heißt: er war die meiste Zeit unsichtbar, nur sein Schatten huschte dann und wann über die Wege dahin - und wer gibt denn gerade auf einen Schatten acht? Baum und Stauden, Wand und Stein werfen ihre dunkeln Bilder auf den Boden. Ja, sogar die Wolken am Himmel, die sonst so stolz und erhaben, unnahbar und rücksichtslos über die Welt dahinsegeln, halten bei dem Spiel mit und lassen ihre schwarzen Mäntel oft genug auf der Erde dahinstreifen. Wenn man es nicht an andern Zeichen gemerkt hätte, auf den Schatten des Pulverers hätte man wirklich nicht geachtet.

Aber da stopfte sich ein Bauer am Feld sein Pfeiflein, zündete an und tat gemütlich die ersten Züge - auf einmal zieht durch den wohligen Tabaksdampf der übelduftende Qualm von verknisternden Hufspänen, und der Bauer spuckt aus und schreit: "Pfui Teufel! Was stinkt denn da?" Oder es wird dem ahnungslosen Raucher die Pfeife mit kunstgerechtem Griffe aus dem Munde gedreht. Man hört vielleicht noch, wie es nebenan in der Luft "bp - bp - dp" macht, immer leiser, immer schwächer, und sieht, wie am Boden ein Schatten davoneilt. Was will der Bauer gegen ein solches Enteignungsverfahren machen? Nichts kann er tun. Froh sein muss er, dass ihm nicht obendrein noch der Tabaksbeutel um die Ohren geschlagen wird - als Abschlagszahlung und Dank.

Oder es schenkt sich einer im Wirtshaus das Glas voll und im nächsten Augenblick verschwindet das Glas. Im übernächsten steht es freilich wieder am Tisch, ist aber leer. Oder es macht einer den ersten Schluck und freut sich dabei schon auf den zweiten, so gut mundet ihm der "Reatling". Dieser nächste Schluck schmeckt aber bitter wie Enzianwurzel oder grauslich wie Fischöl.

Was wollten die Bauern dagegen tun? Das Beste war, dass sie ein gutes Gesicht zu den schlechten Späßen machten.

"Gesundheit, Peter", rief der, dem sein Glas verschwand. "Lass dir's schmecken, Pulverer", ein anderer, dem seine Pfeife davonging.

Denn derlei Sachen waren noch seine harmlosesten Streiche. Er verstand ganz andere Künste. So bohrte er im Walde eine Tanne an und sprach dazu seine Hexensprüche. Es floss dann der Wein, den er gerade trinken wollte, aus dem Baume. Irgendwo in einem Keller rann aber zu gleicher Zeit ein Fass.

Ja, wenn er nur seinen eigenen Durst gestillt hätte! Aber er war dann und wann auch freigebig und hielt ganze Gesellschaften aus, wenn er gerade seinen noblen Tag hatte. Und wenn er nur immer das Loch im Stamme nach dem Trinken auch wieder verspundet hätte! Doch wenn er sich vollgetrunken, ließ er sich meistens neben dem Baum ins Moos fallen, und das kostbare Weinbrünnlein lief weiter und weiter, bis das Fass im Keller geleert war.

In so einem Zustand hat ihn einmal im Laranzer Wald ein Gendarm aufgegriffen. Der hielt den Pulver-Peter für einen Strolch, auf seine Gewandung hat der Zauberer eben nie viel gehalten.

"Was willst", sagt der Peter und reibt sich die Augen.

"Mit mir gehen sollst", meint der Landjäger. "Wo rennst denn du nachher hin?" "Jetzt steh auf, vorwärts! In die Stadt gehen wir miteinander."

"Dort hab ich nichts verloren. Da geh du nur allein. Wenn den Weg heraufgefunden hast, wirst dich wohl auch hinunter zu nicht verirren. Sonst fragst halt, es ist alles deutsch."

Da steigt dem Gendarm der Zorn. "Im Namen ...", ruft er, doch weiter kommt er nicht mit seiner Verhaftungsformel. Der Pulver-Peter hat rasch ein anderes Sprüchel hergesagt. Auf das hin steht der Gendarm regungslos da, kann keine Hand rühren und kann keinen Fuß bewegen.

Der Peter legt sich wieder zurück und schläft seinen Rausch ganz aus, dann dankt er dem Gendarmen spöttisch für seine Ehrenwache. Der kann sich noch immer nicht rühren, ist nicht einmal imstande, durch ein Funkeln seiner Augen oder durch ein Verziehen seines Gesichtes anzudeuten, wie gern er den Peter auf sein langes Bajonett spießen möchte.

Der Pulverer aber scheint die Gedanken seiner Ehrenwache zu erraten, scheint zu fühlen, dass der Gendarm gerne aufspießen möchte, deshalb steckt er ihm liebenswürdig, wie er schon ist, einen Zasserling auf den Speer.

"Sigst du's, jetzt ist ein Schwamm drüber", sagt er. "Mach dir nichts draus. Und wenn die Posaunen des Gerichtes blasen hörst, dann rückst halt auch ein. Vorläufig aber passt mir gut auf, dass die Feichten da drüben nicht davonlaufen, und wenn du wieder einmal einen Menschen schlafen siehst, dann lässt du ihn schlafen. Gelt?"

Dann streicht der Pulverer davon.

In Seis begegnet er einem Bettelmanndl und schickt es hinauf in den Laranzer Wald.

"Dort oben steht einer, dem sag: Geh weiter, du Kürbisgrind! Nicht mehr und nicht weniger. Verstanden? Da hast für deine Müh ein Goldstück!!"

Der Bettler machte sich auf den Weg, band das Goldstück in einen Zipfel seines Bettelsackes und tat des öftern einen liebkosenden Griff nach dem harten, runden Knoten, der seinen Schatz enthielt. Schon auf hundert Schritt sah das Bettelmanndl die blanke Wehr des Gendarmen blitzen und tat gleichzeitig einen Sprung hinter den Busch. Denn mit Bettelrichtern und Landjägern ist Vorsicht noch immer am Platze gewesen. Der Mann des Gesetzes rührte sich aber nicht und stand starr und grimmig da wie ein Heiliggrabheiliger. Da schlug der Bettler einen weiten Bogen und schaute sich die seltsame Erscheinung von einer andern Seite an. Dass der Gendarm gar nicht vom Wege wich und sich nicht einmal nach ihm umdrehte, konnte unser Bruder Schenkenpfennig gar nicht begreifen. Andererseits wurde es ihm immer klarer, dass er sein Sprüchlein gerade diesem Schergen hier vorsagen sollte, denn sonst war weit und breit niemand zu sehen.

Eine gefährliche Geschichte. "Geh weiter!" zu einem Gendarmen - und noch dazu "du Kürbisgrind!" Das war viel verlangt. Nein, das tat er nicht.

"Aber das Geldstück hast du genommen, gelt!"

Er betastete seine Münze, wickelte sie los und betrachtete das schimmernde Gold. Der rote Schein schien nachzulassen, in ein Grauschwarz überzuspielen, wenn die Feigheit in ihm die Oberhand gewann. Als er aber dachte: "Ich tu es doch, ich sag's!" da glänzte das Gold in feiner früheren Wärme und Klarheit.

So barg er die Münze wieder, schlich von hinten an den Mann heran und sagte bescheiden und liebkosend:

"Geh weiter, du Kürbisgrind!"

Jetzt konnte sich der Gendarm auf einmal wieder rühren, aber anstatt dem guten Heiter für seinen Liebesdienst zu danken, ließ er seine seit drei Stunden aufgespeicherte Wut an ihm aus und nahm das Bettelmanndl mit sich nach Bozen.

Wegen Ehrenbeleidigung haben sie es dort in den Kotter gesperrt, weil - der Gendarm im Dienst war. Damit ist noch nicht einmal das ganze Missgeschick des armen Manndls erzählt. Als es im düstern Kerkerloch wiederum den Bettelsackzipfel aufmachte, um sich am Schimmer seines Kleinods zu ergötzen, da fand sich kein Goldfuchs mehr, sondern einer jener alten, ausgedienten Knöpfe, wie sie dem Mesner dann und wann in den Klingelbeutel rutschen.

Auch vom Pulver-Peter wäre noch viel zu berichten, aber einmal muss man doch ein Ende machen. Es wird wohl auch mit ihm selber einmal ein Ende haben. Begegnet ist ihm übrigens schon lange niemand mehr, und die meisten Leute glauben, es habe ihn schon längst der Teufel geholt. Ich weiß es nicht, aber einen ledigen Schatten habe ich schon oft an mir vorüberhuschen sehen. Vielleicht war er es? And schon verschiedene Male war das Glas, das ich mir eingeschenkt hatte, plötzlich leer. Je besser der Wein schmeckte, desto häufiger wirkte der Zauber. Da muss mir der Pulverer das Glas ausgetrunken haben. Ich habe dann auch immer nach altem Brauch "Gesundheit, Pulverer!" oder "Lass dir's nur schmecken, Peter!" gesagt, damit ich mir den Alten in guter Laune erhalte. Denn mit ihm ist nicht gut Kirschen essen, das haben wir gesehen.

Und diese Geschichte ist eigentlich nur für diejenigen geschrieben worden, die in die Dolomiten fahren, damit sie wissen, wie sie sich zu verhalten haben, wenn ihnen ein guter Wein ganz plötzlich verdunstet. Nicht vergessen dann:
"Gesundheit, Pulverer!"

Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 42-48.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.