Willeweis.

So hieß ein altes Weiblein in Welschnoven, dem man nachsagte, dass es schon einige hundert Jahre auf dem Buckel habe. Tagelang saß es den Bauern in der Hütte herum, bald hier, bald dort. Am liebsten hockte es in der Küche neben dem Herdfeuer, sprach fast nichts, deutete nichts und zitterte im heißesten Sommer vor Kälte und innerem Schauder. Gab man ihm zu essen, so flüsterte es ganz leise und zaghaft:

"Dank recht schian,
I wer schun gian."

Überhaupt redete die Willeweis, wenn sie schon einmal redete, immer in Reimen. Das Versprechen aber, bald zu gehen, vergaß sie immer wieder und blieb oft so lange an dem Herde sitzen, dass es den Leuten schon recht lästig wurde.

Wohl gäbe es ein Mittel, hieß es, die Willeweis auf immer los zu werden. Man müsse dem Weiblein irgendetwas zeigen, vormachen oder sagen, wodurch es in Erstaunen gerate, dann gehe sie und komme nimmer. Doch das war eine schwere Sache, die Willeweis schaute, ja fast nie auf und schien alles schon gesehen und gehört zu haben, was es Wunderliches uns Seltsames auf dieser Welt gibt.

Beim Pircher hingen sich der Bauer, die Bäurin, die Knechte, Mägde und Kinder die großen Kuhschellen um den Hals, schrieen "muh ---- muh" und zogen so im Haus herum, in die Küche und aus der Küche. Doch die Willeweis sagte nur:

"Dö Plag, dö Müah!
I kenn Enk doh längst schun
Als Ochsen und Küah!

Beim Strobele-Strutzer kam der Bauer, der einen langen Bart trug, im Gewand der Bäurin zu Herd und kochte, die Bäurin stapfte in den Hosen ihres Mannes in die Küche, setzte sich dort auf den Hackstock und rauchte aus der Pfeife, dass ihr fast übel wurde. Die Buben liefen als Mädlein ein und aus, die Mädlen als Buben.

Die Willeweis machte nur: "Hm, hm!

Die Hos als Kittel,
Der Hias als Grittel.
Die Lies als Luis-
Ist mir nicht nuis."

Beim Fötsch tranken sie die Suppe aus Krügen, aßen die Knödel mit der Hand, das Mus abends mit der Gabel und sprachen dazu in einer neuen, selbst erfundenen Sprache. Die Willeweis machte es geradeso mit Suppe, Knödel und Mus und sprach in demselben närrischen Kauderwelsch:

"Faringalorum, Fötscheber quutal,
Larin madorum plötsch geber zutal."

Beim Geiger auf Kar spielten die Kinder mit den Eierschalen, die von der Bäurin schon lange Zeit her aufgehoben worden waren, "Kochelets". Sie streuten die Asche über den ganzen Herd und setzten die halben Eierschalen als Häflein auf, gossen Wasser ein und sotten Kaffee und Milch, Gramillentee und alle Gattungen von Suppen.

Als das die Willeweis sah. schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und konnte sich nicht genugsam darüber verwundern. Dann sprach sie:

"Ich bin ein alter Narr,
Gedenk den Wald im Kar
Neunmal als Wies, neunmal als Wald,
Den Schlern als Nusskern,
Die Rotwand als Kinderhand,
Die Gepleng als Messerkling,
Das Tschagerjoch als Knospenbloch -
Aber von so viel Hafelen auf einem Herd
Hab ich mein Lebtag noch nicht g'hört."

Mit diesen Worten machte sie sich auf und davon, man hat sie seit der Zeit nie mehr gesehen.

Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 115-117.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.