DER NÄCHTLICHE HOLZHACKER

Im Sarntal lebte einst ein braver und redlicher Holzhacker, der nie, ohne die Frühmesse gehört zu haben, an die Arbeit ging. Damit verdiente er auch redlich sein Brot. Als aber einmal ein Hungerjahr eintrat, war es sein größtes Kreuz, sich und die Seinen mit der Arbeit fortzubringen. Daher begann er auch in der Nacht zu arbeiten, daß er sich mehr verdienen könnte. Aber das ging nicht lange so fort; es verließen ihn die Kräfte. Eines Abends war er sehr müde und abgeschunden und hatte doch noch einen ordentlichen Haufen Prügel vor sich, die aufgehackt werden mußten. Weil er aber nicht mehr konnte, betete er seinen Rosenkranz und legte sich schlafen; dafür gedachte er am andern Tage desto rüstiger ans Werk zu gehen. Schon lag er in tiefem Schlafe, als er auf einmal aufgeweckt wurde. Es hackte jemand das Holz vor dem Hause! Neugierig schaute er durch das Fenster, sah aber niemanden, obwohl der Mond ganz hell schien. Es wurde jedoch weiter gehackt, und er sah ganz deutlich, wie sich das Beil auf und ab bewegte. Er legte sich wieder ins Bett und schlief getrost weiter; als er aber am nächsten Morgen aufstand und nach dem Holz sah, war der ganze Haufen fertig gehackt. So ging es die folgenden Nächte; der Holzhacker konnte die Nacht getrost ausruhen und hatte doch doppelten Verdienst, so daß er keine Sorgen mehr zu haben brauchte.


Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 219