DIE GEISTER VON HAUENSTEIN

Ein armes Bauernweib klaubte beim Schloß Hauenstein oben Holz für ihre magere Küche. Da kam sie von ungefähr zum verlassenen Schloßtor und sah zu ihrer größten Verwunderung im Hof eine ansehnliche Gesellschaft beisammensitzen und an großen Tafeln essen und trinken. Wie sie so schaute, kam ein Bedienter und lud das Weib ein, in den Hof zu kommen; die Herren darin wollten ihr etwas schenken.

Das Weib ahnte nichts Arges und ging hinein. Da gab ihr einer der versammelten Gäste ein Goldstück, und ehe das Weib danken konnte, war der Spuk verschwunden. Voll Schrecken suchte sie jetzt das Freie, aber am Eingang stand ein alter Kriegsmann, ganz in Eisen gehüllt, der hatte den Kopf nicht auf, sondern unterm Arm. Und doch redete er und gebot dem Weib, nichts von all dem, was sie da gesehen hatte, zu verraten, sonst würde es ihr übel ergehen.

Das Weib versprach zu schweigen und machte, daß sie davonkam. Sie zeigte daheim das Gold, aber niemand konnte aus ihr herausbringen, wo sie es herhabe. Die Sache wurde ruchbar, und der Richter lud sie vor und befragte sie nach der Herkunft des Goldes. Als das Weib nicht bekennen wollte, drohte er ihr mit der Folter, und die Arme entdeckte in ihrer Angst alles, was sie im Schlosse gesehen und erfahren hatte. Da auf einmal wurde sie von unsichtbaren Händen fortgetragen, und niemand hat sie mehr gesehen.

Ein anderesmal wagte sich ein Edelmann noch spät abends den Schloßweg hinauf; sein Knecht begleitete ihn. Am Eingang stand der Kriegsmann mit dem Kopfe unter dem Arm und fragte, was er da suche. "Das Schloß will ich besehen", antwortete er und griff nach seinem Schwert. Da ritt ein schwarzer Ritter aus dem Schloß, ergriff den Edelmann, schlug ihm das Schwert aus der Hand und schleppte ihn mit sich hinein. Die gespenstige Wache aber jagte den Knecht den Berg hinab. Niemand hat erfahren, wohin der Edelmann gekommen ist.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 360 f.