Die Mitternachtsmesse der Toten

Vor hundert oder noch mehr Jahren wurde die Mitternachtsmesse auf fünf Uhr früh des Christtages verschoben; Diebe hatten dabei die Hände im Spiel, die ihrem Handwerk nachgingen, während die Bevölkerung in der St. Maria Magdalena Kirche versammelt war. Die Palaier waren nämlich sehr gastfreundlich, daß sie keinem Wanderer Brot und Bett abschlagen konnten, gleichgültig von woher er kam oder welche Sprache er redete. Die Diebe wußten es. Und sie wußten es auszunützen.

Es geschah also, daß in der Heiligen Nacht eine Frau beim Toller plötzlich aufwachte. Da sie glaubte, es sei Zeit, zur Messe zu gehen, und da sie keine Uhr besaß, stapfte sie durch den Schnee der Kirche Maria Magdalena zu.

Das Heiligtum erstrahlte im Lichter- und Goldglanz. Die Rosenkranzmutter war in den Festmantel gehüllt mit den zahlreichen Silbermünzen, welche ihr die Kromer bei ihrer Rückkehr vom "Ziro" aus Dankbarkeit geschenkt hatten.

Eine dichte Menschenmenge füllte das Kirchenschiff. Die Frau der Toller hatte noch nie so viele Menschen in dieser Kirche gesehen. Sie beteten mit tiefer Stimme. Es schien, als kämen die Stimmen aus weiter Ferne, aus den Wäldern der Mader oder des Frotten oder des Pruner.

Die Frau der Toller blieb zögernd, erschrocken stehen. Sie wollte durch die unbekannte Menschenmenge hindurch, um in die Nähe des Altars zu gelangen. Sie verlor einen Handschuh. Die neben ihr stehende Person mit dunkler Hautfarbe hob ihn auf und zerriss ihn. Die Frau der Toller glaubte, es sei ihr Taufpate, der bereits vor vielen Jahren gestorben war.

Dann geleiteten sie viele andere Personen mit schwarzen Gesichtern zum Ausgang der Kirche, und sagten ihr: "Dies ist die Weihnachtsmesse für die armen Seelen von Palai. Für alle Seelen von Palai. Für die Lebenden wird der lebende Priester die Messe morgen früh um fünf Uhr lesen."

Quelle: Das Tal der Mòcheni, Aldo Gorfer, Calliano 1973, S. 48