DIE SCHEINTOTE VON MADERNEID

Im Ansitz Thalegg in Maderneid - nach anderen im Ansitz von Perckhammer dort - lebte einst eine Frau von Vintschgau, welche plötzlich verstarb und daraufhin auf dem Friedhof von St. Pauls in die Familiengruft gesenkt wurde.

Doch der Paulser Totengräber, der gesehen hatte, daß man die verstorbene Dame mit einem ebenso schönen, wie wertvollen Ring am Finger bestattet hatte, beschloß, bei nachtdunkler Zeit auf den Friedhof zu gehen, die von Vintschgauische Gruft zu öffnen und sodann der Toten den Ring vom Finger zu ziehen.

Gedacht, getan. Er stieg mit einer Windlaterne in die Gruft hinab, öffnete den schweren Sarg und wollte der Toten rasch den Ring abziehen. Doch dies wollte nicht so leicht gehen, und so mußte er größere Gewalt anwenden.

Da aber öffnete auf einmal die Frau die Augen und erhob sich in ihrem Sarge! Durch das Ziehen und Reißen des Mesners war die Frau - die nur scheintot gewesen war - wieder zu sich gekommen und konnte nun mit der Hilfe des allerdings zu Tode erschrockenen Mesners die Gruft verlassen und heim nach Maderneid gehen.

Sie läutete dort, und ihr Ehemann rief von oben herab: "Wer da?" "Die Frau des Hauses", antwortete die Wiedererwachte mit leiser Stimme. "Oh, die kann es gewiß nicht sein, denn die haben wir ja gestern auf den Friedhof getragen!" schluchzte der Mann voll Trauer.

Endlich aber erkannte er die Läutende doch und öffnete ihr voll Freude das Haus. Sie lebte noch sieben Jahre und gebar auch noch ein Kind, dann aber starb sie wirklich und wurde nun endgültig in die Familiengruft gesenkt. Ein Motivbild in der Maria-Hilf-Kirche in Lana hielt lange Zeit die Erinnerung an diese seltsame Begebenheit wach.

Quelle: Weber, P. Beda, Das Land Tirol, ein Handbuch für Reisende. 2. Band, Südtirol. S. 413 und 448;
Weber, P. Beda, Meran und seine Umgebungen. Innsbruck 1845. S. 218;
Weber, P. Beda, Die Stadt Bozen und ihre Umgebungen, Bozen 1849. S. 447 f.;