Der Schatz von Castelfeder

Auf dem eisernen Kirchthurmkreuz von St. Jakob bei Tramin sieht man bei sehr heftigen Gewittern drei schwankende Flämmchen 1) von bläulicher Farbe, eines auf der Spitze, die beiden andern an den Enden des Querbalkens. Da die Flämmchen nur bei sehr "schiech'n" Gewittern sichtbar sind, ist den Bewohnern der Gegend ihr Erscheinen um so unheimlicher und unerklärlicher.

Man sagt, dies sei der Geist des Schatzes, welcher auf dem jenseits der Etsch gelegenen Schlosse Castelfeder vergraben liegt. - Manche behaupten sogar die "Licht'ln" von dort durch die Luft herüberfliegen gesehen zu haben. Castelfeder gilt deshalb beim Volke als Schatzplatz. -

Es war in der Johannisnacht, als einmal zwei Männer von Tramin hinübergiengen um den Schatz zu heben. Sie hatten das Caronagebet und eine erprobte Schatzruthe, ausserdem aber hübsch viel Geselchtes, Speck und Wein mitgenommmen.

Drüben angekommen stärkten sie sich zunächst geistig durch Gebet und - leiblich durch den Wein und das Geselchte. So erwarteten die zwei Abenteurer die Geisterstunde. -

Als diese herangerückt und die Beiden in der richtigen Stimmung waren, stiegen sie in die Ruinen des Schlosses.

Der eine las beim trüben Scheine einer Wildniskerze 2) die Johannisevangelien und das Caronagebet laut vor, während der andere die Schatzruthe zu stellen bemüht war und mit sichtlicher Aufmerksamkeit deren Schwankungen beobachtete. -

Wenn aber dieses hochberühmte Gebet einmal gelesen wird, so muss - "wenn lei mitterle a Mitt'l ist" 3) - jeder Geist hervor. -

Sie hatten noch nicht lange gewartet, kam der Geist - eine ätherische, leicht schwebende Gestalt; in zarte Linnen gehüllt, setzte er sich nicht weit von den Schatzgräbern auf einen Stein, rührte sich aber nicht weiter. - Den Zweien gieng's jetzt ein Bischen kalt über den Rücken.
- Reden darf man nicht beim Schatzgraben, das wussten sie zu gut; gern hätte der eine dem andern gesagt: "Red' ihn an". - Sie deuteten sich bloss. Keiner wollte sich aber getrauen. -

So standen sie da und spielten eine geraume Zeit Pantomine. Endlich "nimmt einer das Herz in die Händ'" und ruft dem Geist mit fast komischem Ernst entgegen:

"Alle guten Geister loben Gott den Herrn;
Geist, was ist dein Begehrn?'' -

Und nachher - so haben sie mir oft erzählt, der Eisenbrenner Ander und der alte Schlosser Florl - hat's g'feuert; ohne dass man etwas g'hört hat - wie halt Geister geh'n - ist er näher kommen und hat g'sagt:

,.Da drunt'n - bei dem Mäuerle, wo die grosse Eich' steht, theats den gross'n Stein weg, und - zeb'm 4) theats grab'n. - -

Sobald ihr den Schatz habt, wird der Teufl allerhand G'schicht'n mach'n, und auf dem Heimweg wird er alles aufbieten, dass er euch den Schatz wieder abjagen könnt'; aber seid lei' 5) nicht verzagt, anhaben kann er euch nichts, ausgenommen, wenn ihr redet. -

Reden, dürft's kein Wort'l, still müsst's sein, wie die Mäusl'n, sonst kann er euch den Schatz nehmen, und ich muss dann hundert Jahr lang warten bis wieder die Zeit kommt, wo ich erlöst werden kann. -"

So sprach der Geist und verschwand.

Die beiden Schatzgräber machten sich eiligst an die Arbeit und fanden wirklich, an der ihnen vom Geiste bezeichneten Stelle, in einer Truhe den Schatz.

Schon während des Grabens, und besonders auf dem Rückwege, sahen sie allerhand Geisterspuck. Bald warf es Steine auf sie, bald lief ihnen ein dicker schwarzer Haufen zwischen den Beinen durch; dann hörten sie wieder ein schreckliches Gepolter in dem Schlosse, wie wenn alles zusammenfiele u. s. w.

Sie liessen sich jedoch nicht schrecken und giengen mit der Truhe rüstig ihres Weges. Mitten auf die Truhe stellten sie die brennende Wildniskerze: damit sich weder der Teufel noch die Hexen haben daraufsetzen können, sonst wären sie nicht mehr weiter gekommen, -

Als sie bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, sahen sie auf einmal drei feurige Jäger mit blanker Waffe hinter sich herkommen, die ihnen schon von der Ferne ein barsches "Halt" zuriefen.

Die beiden Schatzgräber liessen sich jedoch nicht irre machen, liessen die da hinten rufen und giengen ruhig weiter.

Als die Drei ganz nahe herangekommen waren, geboten sie den beiden Trägern nochmals von der Truhe abzulassen; diese gaben aber keine Antwort .und schritten munter fürbass.

Jetzt begannen die Jäger um die Kiste zu ringen; der Kampf blieb unentschieden.

Sich selbst vergessend rief einer der beiden Schatzgräber den Gegnern ein zorniges Wort zu, und nun - war's aus. Wie auf einem Zauberschlag verfielen klingend all' die goldenen und silbernen Kostbarkeiten, welche die Kiste barg und von den drei Jägern sah man nichts mehr. - Hoch in der Luft aber hörte, man weinend und weheklagend die Stimme des wachehaltenden Geistes, den die Bösen jetzt fürchterlich maltraitirten. -

In gewissen Nächten sieht man noch immer den Geist von Castelfeder auf einem feurigen Hunde von Auer nach Tramin reiten; aber nie mitten auf der Strasse, sondern stets abseits in den Wassergräben.

Einige behaupten, die drei Licht'ln bedeuten den Schatz, welcher auf dem Bühel von St. Jakob vergraben liegt.

Gewiss ist aber, dass, wenn diese drei Licht'ln erscheinen, ein ganz ausserordentlich schieches Wetter kommt, und dabei Hagel völlig sicher zu gewärtigen ist; besonders wenn sich dann, wie es leider oft der Fall ist. niemand mehr in den Thurm hinaufwagt zum Wetterläuten. Manche halten daher auch die drei Flämmchen für eine List, welche die Hexen gebrauchen; damit die Glocke, welche sie so sehr fürchten, nicht geläutet wird.
(Tramin.)

1) St. Elmsfeuer.
2) Eine aus verschiedenen Ingredienzien bereitete Kerze, der eine ganz besondere Kraft zugeschrieben wird.
3) Wenn es überhaupt möglich ist.
4) dort.
5) nur.

Quelle: Menghin, Alois, Aus dem deutschen Südtirol. Mythen, Sagen, Legenden und Schwänke, Sitten und Gebräuche, Meinungen, Sprüche, Redensarten etc. des Volkes an der deutschen Sprachgrenze. Meran 1884. Nr. 18, S.43