Der Lorgg von Mals

In Mals wurde noch vor hundert Jahren ein unheimlicher Geist gesehen: der Lorgg, ein riesengroßer, schwarzer Mann mit einem dreieckigen Hut auf dem Kopf. Der Lorgg trug aber seinen Kopf meist unter dem Arm und streifte mit mächtig ausgreifenden Schritten des Nachts bis zum Betläuten am Morgen ruhelos durch die dunklen Dorfgassen. Er tat niemandem etwas zuleide, fand er aber Gras- oder Obstdiebe, so vertrieb er sie und verfolgte sie bis zu ihren Häusern. Mit den Betrunkenen hatte er seinen besonderen Spaß. Er sprang sie für gewöhnlich von hinten an und ließ sich von ihnen lange Strecken huckepack tragen. Eines Abends mähten zu später Stunde ein Bauer und sein Weib in den Runkwiesen oberhalb des Dorfes. Da kam der Lorgg schnurgerade die steile Wiese herauf und schritt ganz nahe an den beiden vorbei. Das Ehepaar konnte sich vor Schreck lange nicht mehr bewegen. Ein anderes Mal warfen mutwillige Burschen Steine nach ihm. Voller Zorn verfolgte er sie, wobei er grauenhaft brüllte. Einer der Burschen sprang mitsamt dem Fensterstock in seine Stube, die anderen erreichten ein Feldkreuz, an dem sie sich krampfhaft festhielten. Erst als am Morgen die Glocke zum Engel des Herrn läutete, verschwand der erboste Lorgg. Der Nachtwächter, der ihm öfters in einem engen Gässchen des Oberdorfes begegnete, und dabei sich vor Angst hart an die Mauer drückte, um ihm ungestört vorbeizulassen, machte an die Mauern des Gässchens einige Kreuze mit Mörtel. Seit dieser Zeit sah er den Lorgg nie mehr wieder. Die Gasse wird aber heute noch allgemein „Lorggaßl“ genannt.

Quelle: Robert Winkler, Sagen aus dem Vinschgau, Bozen 2000, S. 90

Doku:

Es wurde oft erzählt, dass der Lorgg ab jener Nacht nicht mehr gesehen wurde, in welcher der Nachtwächter drei Kreuze an die Gartenmauer einer Gasse gemalt hatte.

Marian Polin, ein junger Bursche aus Mals, beschäftigt sich gerne mit der Ortsgeschichte und hat nun nach Gesprächen mit dem ältesten Malser eine interessante Entdeckung gemacht. In jener Gasse, die früher den heutigen Puniweg mit der Martinsgasse verbunden hat, entdeckte er an einer Gartenmauer Reste, die mit den besagten Kreuzen identisch sein könnten.

Die heutige Lorggengasse, die an den Lorgg erinnern soll, befindet sich allerdings etwas weiter entfernt, westlich von dieser Gasse.

Spekulativ allerdings bleibt, ob der Nachtwächter aufgrund seines Alkoholkonsums den Lorgg tragen musste oder sich einfach nur vor ihm fürchtete!

Quelle: Der Vinschger, Heft 17, 2008, S. 8