WIE EIN HANDWERKSBURSCHE ZUM STEINREICHEN MANN WIRD

Ein armer Handwerksbursche kam spätabends nach Taufers im Vinschgau und wollte da für seine paar Groschen übernachten. Es war aber am nächsten Tag großer Markt, und der Wirt hatte kein Plätzchen mehr für ihn, so voll waren Haus und Stadel!

Allein der Bursche hatte sich müde gelaufen und konnte nicht mehr weiter. Da sagte der Wirt: "Herberge kann ich Euch einmal keine mehr geben, aber wenn Ihr im alten Turm oben übernachten wollt, gebe ich Euch schon ein wenig Stroh zum Liegen mit. Freilich", setzte er hinzu, "ist es oben nicht recht geheuer." Der Bursche war froh, daß er nicht auf die Straße gesetzt wurde und sagte: "Wenn's weiter nichts ist, so ist mir's recht. Gebt mir nur einen Löffel und eine Pfanne, dann will ich mir oben schon selber ein Nachtmahl kochen."

Der Wirt gab ihm Pfanne und Löffel und ein Schab Stroh, und der Bursche ging hinauf in den Turm. Vor demselben erblickte er eine Holerstaude voll schwarzer Beeren. Die pflückte er, machte ein Feuer an und kochte sich ein Holermannl, setzte sich davor und rastete.

Er schürte gerade wieder nach und blies mit vollen Backen in die Glut, als ein Gespenst vor ihm stand und ihm zurief: "Komm mit mir!" "Nein", sagte der Bursche, "es könnte mir das Holermannl anbrennen." Der Geist blies ins Feuer und löschte es aus bis auf ein Scheit, das noch fortbrannte. "Das Holermannl wird besser langsam kochen", meinte der Geist, "komm derweil mit!"

Der Bursche ging nun mit ihm, und das Gespenst führte ihn zu einer Tür, welche von selber aufsprang. Dahinter in einem grausigen Loch war eine Kiste voll Schlangen, und der Geist befahl dem Burschen, die Kiste den Berg hinabzuwälzen. "Nein", entgegnete der Bursche, "ich muß nach dem Holermannl sehen, sonst kann es mir leicht verbrennen, und dann habe ich nichts zu essen." "Dein Holermannl kocht besser langsam", erwiderte der Geist, "wälz mir nur die Kiste fort!"

Der Bursche rückte die Kiste vom Fleck und wälzte sie den Berg hinunter. Darauf führte ihn der Geist in ein anderes Gemach, wo mehrere Kisten voll Schlangen und Molche waren. "Wirf auch die den Berg hinab!" befahl er. "Nein", sagte der Bursche, "jetzt geh' ich zu meinem Holermannl, sonst verbrennt's gewiß." "Deinem Holermannl geschieht nichts", versetzte das Gespenst, "wirf nur die Kisten hinab!" Und der Bursche wälzte die Kisten hinaus, eine nach der anderen, und den Berg hinab, daß es lustig polterte.

Jetzt führte ihn die Gestalt in ein drittes Gemach, darin lag eine großmächtige Kiste voll Gold, daß dem Burschen das Herz im Leibe lachte. Aber auf der Kiste saß ein Drache, der seine glühenden Augen rollte. "Schlag das Tier tot!" befahl der Geist. "Nein", sagte der andere, "ich gehe lieber zu meinem Holermannl, sonst brennt es an, und mich hungert doch so recht." Der Geist erwiderte: "Dein Holermannl ist noch nicht gar gekocht, schlag nur zu!"

Da faßte der Bursche einen Knüttel und schlug damit dem Drachen auf den Kopf, daß er tot von der Kiste fiel. jetzt sagte das Gespenst: "Ich danke dir, mutiger Geselle, daß du mich erlöst hast! Dieses Gold gehört dir zum Lohne." Darauf verschwand es. Der Bursche ließ sich nun das Holermannl gut schmecken, steckte sich die Taschen voll Goldstücke an, füllte auch die Pfanne damit und stieg, als der Morgen graute, den Berg wieder hinab.

Der Wirt war schon auf und fragte ihn, wie er geschlafen habe. "Gar nicht", antwortete der Bursche, "aber da bringe ich Euch Eure Pfanne vergoldet wieder zurück. Ihr müßt mir dafür auf ein paar Tage Euer Rößlein leihen, daß ich den Schatz wegschaffen kann." Und er erzählte ihm das Abenteuer und dankte ihm für die Herberge oben. Darauf lud er die Kiste mit dem Schatz auf einen Wagen, fuhr seiner Heimat zu und war ein steinreicher Mann.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 503 f.