DER KUHHIRT

Auf einer Alm in Schlinig war es nicht geheuer. In einer mondhellen Nacht zog ein Mann von der Schweiz her über das Gebirgsjoch, und als er zur Alm kam, war er müde und legte sich am Fuße einer Felswand nieder. Kaum eingeschlafen, fiel neben ihm eine Kuh nieder, und er fuhr jählings vom Schlafe auf. Jetzt hörte er auf der Felswand hellauf und grell lachen und in die Hände klatschen, daß es ganz unheimlich und schauerlich ins Tal hinaus klang.

Dann stieg der Lacher von der Felswand herab, nahm die Kuh auf seinen Rücken und trug sie hinauf. Während des Hinauftragens ächzte er, holte tief Atem und weinte so überlaut, daß es weit herum hilderte. Oben angekommen, warf er sie wieder hinunter unter Lachen und Händeklatschen.

Das ging die ganze Nacht so fort bis zum Ave-Maria-Läuten, dann verschwand alles. Der Mann machte hievon Anzeige, und der Geist wurde angesprochen. Da sprach der Geist: Ich hütete da die Kühe, eine Kuh ging immer von der Herde abseits, was mich zornig machte, daher legte ich auf ihrem Gange Baumrinden, daß sie hinunterfiel. Als sie fiel, lachte ich. Die Kuh wurde dazumal auf 50 Gulden geschätzt und gehörte einer armen Witwe in Eyrs. Zur Strafe für diesen Schaden muß ich alle Nacht die Kuh hinunterwerfen und wieder hinauftragen. Jährlich kann ich nur 5 Kreuzer abdienen, so daß ich jetzt 1000 Jahre leiden muß.

Der Geist fing an zu weinen und bat um Hilfe. Man sammelte Geld bis 50 Gulden und gab es der hochbetagten Witwe. Trotzdem trieb der Geist sein Unwesen weiter und setzte seine vorhin beschriebene Strafe fort. Als er wieder angesprochen wurde, sagte er: Die Witwe muß mir die Kuh schenken und mir verzeihen, sonst nützt es mir nichts. Die Witwe schenkte ihm die Kuh, betete für ihn, und das Geld wurde zu hl. Messen für die armen Seelen im Fegefeuer verwendet. Jetzt erst wurde der Geist erlöst.

Quelle: Der Sammler, Beiträge zur tirolischen Heimatkunde. Hrsg. Franz Innerhofer, 5 Bände, Meran 1906 / 1911, II, 208 f.