Der Spuk auf Hochnaturns

In altherrischer Weise überblickt die Burg Hochnaturns das ihr zu Füßen liegende stattliche Dorf Naturns. Diese im untersten Vinschgau noch bestens erhaltene Burg war einst der Hauptsitz der Herren von Naturns, deren Geschlecht seit 1237 nachweisbar ist. Walter von Naturns übernahm von König Heinrich, dem Landesherrn von Tirol, den altersgrauen und sagenhaften Turm an der Sonnenseite des Ursulaberges, baute ihn aus und bewohnte ihn von da ab seit 1320 ohne Unterbrechung mit seinen Söhnen. Zu den nachfolgenden Geschlechtern gehörten auch die Grafen von Fieger. Auf Hochnaturns soll einmal die schöne Burgfrau Diemut ihren alternden 'Gemahl Ulrich von Fieger mit dem jungen Ritter Parzival von Schlandersberg betrogen haben. Im nächtlichen Zweikampf erschlug der Schlandersberger den Hochnaturnser und das schuldige Liebespaar grub den Erschlagenen heimlich und eilig im Schloßhof ein, wo er sein Leben gelassen hatte. Von Reue und Entsetzen über die Bluttat erfaßt, floh Parzival noch in derselben Nacht und beschloß sein Leben als Büßer in der Kartause Allerengelberg in Schnals. Am Jahrtag des ungeklärten Verschwindens Herrn Ulrichs von Fieger aber wurde seine Frau Diemut durch den giftigen Stich einer Totenkopfspinne in den Nacken getötet. Seither geht auf dem Burghof von Hochnaturns in den Vollmondnächten der ehemalige Ritter von Schiandersberg um. Zur gleichen Zeit sieht man, wie eine bildhübsche, schlanke Frauengestalt sich über die Innenwehr hinabbeugt und der finsteren Gestalt des Schlandersberger ungemein rührend die Hände entgegenstreckt. Nur von kurzer Dauer ist die nächtliche Geistervorstellung, denn das schöne Frauenbild sowie Roß und Reiter verschwinden alsbald, und es kehrt wieder Ruhe in der malerischen Burg Hochnaturns ein.

Quelle: Winkler Robert, Volkssagen aus dem Vinschgau. Bozen 1968. S. 327 f.