Vom frommen Marzoner

Wo heute die Marzoneralm liegt, stand einst behäbig und breit ein schöner Bauernhof. Von einem früheren Besitzer wird erzählt, dass er ausnahmsweise fromm war und ein heiligmäßiges Leben führte. Der gottesfürchtige Mann scheute kein Opfer, um jeden Tag zur Frühmesse und im Advent zum Rorate nach Tschars zu kommen. Nach einem regenreichen Herbst trat das Wasser der Etsch über die Ufer und riss alle Brücken zwischen Kastelbell und Naturns fort. Während die Glocken der Tscharser Pfarrkirche zur Frühmesse läuteten, stand der Bauer ratlos am Ufer und begann Stoßgebete zum Himmel zu schicken. Da teilte sich das Wasser der Etsch und er konnte trockenen Fußes ans andere Ufer gelangen. Dieses Wunder wiederholte sich auch an den folgenden Tagen.

Einmal, während des „Goldenen Amtes", glaubte der Bauer den Teufel hinter dem Hochaltar zu sehen, wie er die Sünden der Tscharser auf eine Kuhhaut schrieb. Bald war die Kuhhaut voll geschrieben, da versuchte der Satan unter großer Anstrengung die Kuhhaut mit seinen Geißfüßen zu strecken. Sie entglitt ihm und rollte wieder auf. Über dieses Missgeschick und die fürchterlichen Grimassen des Satans musste der Bauer herzhaft lachen, fand aber auf dem Heimweg den Durchgang an der Etsch nicht mehr. Nirgends teilten sich diesmal die Fluten. Endlich gelang es ihm auf großen Umwegen die andere Bergseite, und nach mühevollem Anstieg, den Mar-zonerhof zu erreichen. Seitdem verließ er nie mehr den Hof. Er führte ein reuevolles Büßerleben und betete täglich knieend den Rosenkranz.

Heute noch kann man auf einem Stein auf der Alm die Perlen des Rosenkranzes und die Abdrücke der Kniee erkennen.

Quelle: Sage, Brauchtum und Geschichten in und um Naturns. Maria Gerstgrasser. Naturns 2003. S. 36