SALIGE ALS BESCHÜTZER DES WILDES

Die Saligen waren auch die Beschützerinnen des Wildes und den Jägern deshalb sehr gram. Wenn ein Reh oder eine Gemse oft schon zum Schusse stand, so kam plötzlich ein lauter und durchdringender Ruf aus dem Wald oder vom Berg herunter und verscheuchte das Opfer, dem Jäger das leere Nachsehen lassend.

Unweit des Schwarzsees hatte einmal ein Jäger auf ein junges Reh geschossen und folgte nun durch das Gebüsch der Spur des verwundeten Tieres. Er gelangte auf eine Waldlichtung, wo er das angeschossene Tier zu Füßen einer schönen blassen Saligen liegen fand, die gerade damit beschäftigt war, dem Reh die Wunde auszuwaschen und einen Verband von heilsamen Kräutern anzulegen.

Als der Jäger frech herankam und mit roher Faust sein Opfer ergreifen wollte da erhob sich die Salige mit zornfunkelnden Augen und sagte, ihm die scneeweiße Hand entgegenstreckend:

"Laß ab, laß ab -
der nächste Mond bescheint dein Grab!"

Und so war es auch. Noch ehe der Mond sich erneute, hatte die Kugel eines Wilderers dem Jäger sein Lebenslicht ausgeblasen.

Quelle: Meyer Martinus, Sagen-Kränzlein aus Tirol. 2. Auflage. Innsbruck 1884, S. 360 f.